Ilalien. (Sept. 29. —Okt. 8.) 253
mit-Doda hört bei einem Festmahl in Udine provozierende irre-
dentistische Reden an, ohne gegen sie zu protestieren. Er wird
infolge dessen entlassen und ihm diese Thatsache durch den Mi-
nisterpräsidenten in folgendem Schreiben mitgeteilt:
„Ehrenwerter Deputierter Seismit-Doda! Ich benachrichtige Sie, daß
Se. Mojestät der König ein Dekret gezeichnet hat, kraft dessen Sie nicht
mehr Minister der Finanzen sind. Se. Majestät der König hat gleichzeitig
das Dekret gezeichnet, welches den Schatzminister mit dem Interim der Fi-
nanzen betraut. Gez. Der Ministerpräsident. Crispi."
Dieses Vorgehen der italienischen Regierung erregt in Oester-
reich große Befriedigung.
29. September. Der „Figaro“ berichtet über eine Unter-
redung des Journalisten St. Cere mit Crispi in Neapel. Da-
nach hätte Crispi neuerdings den friedlichen und defensiven Cha-
rakter des Dreibundes hervorgehoben, welcher aber im Jahre 1892
erlösche und noch nicht erneuert worden sei. Ferner habe Crispi
den Wunsch ausgesprochen, die Mißverständnisse mit Frankreich zu
zerstreuen. Er erachte Frankreich als sehr stark; die allgemeinen
Rüstungen würden schließlich Europa zu Gunsten Amerikas unter-
minieren. — Die „Riforma“ erklärt den Bericht des „Figaro“ für
teilweise unrichtig.
2. Oktober. Der ehemalige Minister, Führer der parlamen-
tarischen Opposition, Baccarini f.
8. Oktober. Crispi hält in Florenz bei einem Bankett
eine umfassende politische Rede, in welcher er sagt:
Die Rede, welche man von ihm heute erwarte, und welche einen
Kampf verkünden solle, zu welchem das Land nicht berufen sei, könne er und
dürfe er heute hier nicht halten. Aber ein Staatsmann habe dem Lande
immer etwas Nützliches mitzuteilen, wenn das Parlament seit drei Monaten
feiere. Seit einiger Zeit versuche man, unter der Bevölkerung eine gefähr-
liche Stimmung zu erregen, die dahin strebte, gewisse italienische Landesteile,
welche nicht mit dem Königreich vereinigt seien, als italienisches Besitztum
zu verlangen. Scheinbar umgeben von der Poesie des Vaterlandes sei der
Frredentismus heute nichtsdestoweniger einer der schädlichsten Irrtümer in
Italien, der die Existenz der Nation sogar gefährden könnte. Das Prinzip
der Nationalität könne in seinem äußersten Ausdruck nicht immer die aus-
schließliche Regel des diplomatischen Rechts sein. Sei es denn statthaft,
Italien an den Rand des Verderbens geraten zu lassen durch Uebertreibung
desjenigen Prinzips über jede vernünftige Grenze hinaus, dem das Land
seine politische Existenz verdanke? Der Irredentismus müßte alle Regie-
rungen gegen Italien aufbringen, da er dem Willen verschiedener Völker-
schaften Gewalt anthun würde. Die drei Schweizer Kantone lieferten den
Beweis, daß Nationalität nicht immer allein hinreiche, um Völker dem einen
politischen Staatswesen zuzuweisen anstatt dem andern. Deutschland mit
Oesterreich verbündet und unter seinem neuen bereits hochverdienten Reichs-
kanzler nach andern Ruhmesthaten strebend, habe dadurch, daß Kaiser Wil-