254 Italien. (Okt. 8.)
helm erklärt habe, Helgoland bilde die letzte deutsche Rückerwerbung, gezeigt,
daß in der Gegenwart sich die Regierungen des Nationalitätsprinzips mit
weiser Mäßigung bedienten. Die schließliche unvermeidliche Konsequenz irreden-
tistischer Politik wäre der Krieg, der das Land unvorbereitet finden würde,
denn der zweite Ruf der FIrredentistischen laute „Entwaffnung“". Krieg und
Frieden schlössen aber einander aus. Der unmittelbare Zweck der irreden-
tistischen Agitation sei das Zerreißen des Dreibundes, ihre Fahne wende sich
aber nur gegen die Ostgrenze. Die Frredentisten verständen zwar nicht,
unterstutzten aber die Pläne einer Partei, welche im Innern sich als Feind
Italiens aufhalte. Es sei natürlich, daß eine Partei, welche die weltliche
Macht für sich in Anspruch nähme, die Auflösung des Dreibundes wünsche
in der Hoffnung, den Bund der katholischen Mächte wieder herzustellen zum
Nutzen des Vatikans, sobald Oesterreich nicht mehr der Freund und Allüüerte
Italiens sein würde. Könne eine derartige Politik des Krieges mit dem
Auslande und der Zersplitterung im Innern diejenige Italiens sein?
Crispi wandte sich sodann gegen die Politik der Isolierung, welche
das schlecht verhehlte Ideal der Agitation sei. Der Grundsatz, daß man
mit jedem Freund sein müsse, ohne jedoch Bündnisse für die Zukunft zu
schließen, und daß man nur Bündnisse für kurze Zeit und begrenzte Zwecke
schließen dürfe, und nur dann, wenn Gefahr drohe, sei wohl eine Theorie,
welche in normalen Zeiten anwendbar sei, aber nicht, wenn Europa die
Lösung wichtiger Fragen erwarte.
Der Berliner Kongreß sei ein Unglück für Italien gewesen wegen der
Politik der Isolierung, welche es bis dahin befolgt habe. Italien sei ge-
zwungen gewesen, die einzige Politik zu der seinigen zu machen, die noch zu
seiner Verfügung stand, nämlich diejenige der Bündnisse; es sei ihm nichts
übrig geblieben, als zu dem österreichisch-deutschen Einvernehmen zugelassen
zu werden. Italien habe dies in Berlin erreicht, nachdem es in Wien seine
Absichten dargelegt habe. Der Vertrag habe zuerst keine Frucht getragen,
die Zweifel, die man Italiens wegen gehegt habe, seien in Wien und Berlin
noch nicht zerstreut worden. Das Vertrauen habe in der zweiten Periode
ein Bündnis zu stande gebracht, welches in den letzten drei Jahren zu einem
aufrichtig freundschaftlichen geworden sei. Die Existenz Oesterreichs und
Frankreichs sei für die Grenzen Italiens eine Garantie, wie sie für das
europäische Gleichgewicht eine Notwendigkeit sei. Man müßte, wenn er nicht
schon bestände, einen Staat schaffen, wie Oesterreich, welches von so vielen
Nationalitäten bewohnt sei und verhindere, daß eine einzelne die Oberhand
ewinne.
Niemand denke, könne jemals denken an ein Europa ohne die Mission
jenes Frankreich, welches der sympathischste Ausdruck der modernen Zivili-
sation und dessen Anziehungskraft unwiderstehlich sei. Zwischen diesen beiden
Ländern gelegen, könne Italien nur beider Freund sein und habe nichts
anderes von ihnen zu erbitten, als die Herrschaft zu vergessen, welche sie
lange Zeit diesseits der Alpen ausgeübt. Der Vatikanismus täusche sich in
dem Glauben, es genüge, den Dreibund zu zerstören, um jedes Hindernis
für die Wiederherstellung der weltlichen Herrschaft zu beseitigen, denn er
bedenke nicht, was der Wille der Italiener, was ihre Armee vermöchten.
Ein Krieg, den man gegen Italiens Einfluß versuche, würde, wenn er ge-
führt werde, nur Schaden bringen. Habe man nicht während Italiens
Isolierung gesehen, wie der Mann, welcher mit Recht alle Mittel und
Wege für die Größe seines Landes versuchte, die preußische Gesandtschaft
beim Vatikan wiederherstellte als Symptom gegenseitiger Annäherung? Nach
dem Abschluß des deutsch-italienischen Bündnisses, nach dem die politischen
Bande zwischen den beiden Regierungen stärker und die Freundschaft zwi-