Mebersicht der politischen Entwichelung des Jahres 1890. 327
Unter diesen Umständen ist noch nicht abzusehen, welchen Ausweg
die wild wogenden Wasser endlich nehmen werden. Die Schul-
Konferenz faßte eine Reihe von Resolutionen, die sich wohl in der
vom Kaiser angegebenen Richtung bewegten, aber zuletzt doch nur
einen äußerlichen und unbefriedigenden Kompromiß zwischen den
verschiedenen Richtungen, der klassizistischen, der realistischen, der
national-politischen darstellten. (Vgl. „Preuß. Jahrb.“ Bd. 67
S. 105).
Bayern war in das Jahr 1890 mit einem kirchlichen Kon= Bahern.
flikt eingetreten. Die ultramontane Kammer-Majorität wollte end-
lich einmal ihre Macht geltend machen und verfiel auf das Mittel,
alle Forderungen für Kunst und Wissenschaft abzulehnen, um da-
durch auf das Ministerium einen Druck auszuüben. In München
kam es darüber zu tumultuarischen Demonstrationen namentlich
seitens der Studenten, aber auf einem Punkt erreichte der Ultra-
montanismus doch endlich seinen Zweck. Die Altkatholiken, die
bisher staatlich noch immer als Mitglieder der katholischen Kirche
angesehen worden waren, wurden geopfert und darauf das Kultus-
budget bewilligt (vgl. S. 35 und S. 39). Der treffliche Minister
v. Lutz, der so viele Jahre unter den schwierigsten Verhältnissen
die Geschicke Bayerns gelenkt, dem Klerikalismus Trotz geboten,
das Vertrauen ebensowohl des Königs Ludwig wie des Prinz-
Regenten Luitpold genossen, nahm seine Entlassung (31. Mai) und
starb kurze Zeit darauf. Daß der Prinz-Regent aber keineswegs
gewillt war, einen Katholizismus, der katholischer zu sein behaup-
tete, als er selbst, in Bayern aufkommen zu lassen, zeigte sich gleich-
zeitig, indem er durch seine persönliche Einwirkung die Abhaltung
eines Katholikentages in München als friedestörend verhinderte
(vgl. 16. Mai, 17. Mai S. 860).
Sehr ereignisreich ist das Jahr 1890 für die deutsche Kolo= Kolo-
nialpolitik gewesen. Der Reichskommissar v. Wißmann vollendete #mtenn.
mit seinen geworbenen afrikanischen Truppen unter deutscher Füh-
rung und mit Unterstützung der Marine die Unterwerfung des
ganzen ostafrikanischen Küstengebietes des Sultanats Sansibar in
der deutschen Interessensphäre. Emin Pascha trat in deutsche Dienste
und die Expedition Peters traf, wenn auch der eigentliche Zweck