Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 24.) 7 
daß mit Angelegenheiten, die das Staatswohl betreffen, Handel nicht ge- 
trieben werden wird. (Lebhaftes Bravo.) Es ist weder von mir noch von 
dem Herrn Kultusminister seit dem Scheitern des letzten Sperrgesetzes auch 
nur ein einziges Mal mit irgend einem Mitgliede der beteiligten Partei 
dieses Hauses über das Sperrgeldergesetz gesprochen worden. 
Ich schließe mit der Bemerkung, daß es der Staatsregierung sehr 
wünschenswert gewesen sein würde, dieses Gesetz im Herrenhause einbringen 
zu können, und zwar mit Rücksicht auf die geschäftliche Lage dieses Hauses 
und auf den nach wie vor lebhaften Wunsch der Staatsregierung, alle Ge- 
setze, die diesem Hause zur Zeit vorliegen, noch in der gegenwärtigen Sitzung 
zur Verabschiedung zu bringen. Wir haben das nicht gethan, weil wir uns 
verpflichtet gehalten haben, auf Grund des Artikels 62 der Verfassung, der 
das Einbringen von Finanzgesetzen in diesem Hause vorschreibt, das Gesetz 
hier vorzulegen. 
Abg. v. Cuny (nat.lib.) greift die Regierung scharf an und 
erklärt, 
seine Partei werde gegen das Gesetz stimmen, weil sie an dem Stand- 
punkt, den mit ihr die Staatsregierung noch vor wenigen Monaten festge- 
halten habe, anch gegenwärtig noch festhalte. 
Minister v. Goßler: 
Meine Herren! Die Königliche Staatsregierung wünscht sofort dem 
ersten Redner, welcher die Vorlage bekämpft, zu antworten, und sie thut es 
um so lieber, als die Entwürfe, welche der Herr Vorredner gemacht hat, 
sich weniger an das Gefühl und die Phantasie, sondern vor allen Dingen 
an den Verstand wenden, weil am klarsten die Angriffe gegen die Regierung 
formuliert sind, welche in der Presse in großer Zahl sich vorfinden, und 
weil es immer nütlich ist, ehe vielleicht die Wogen des parlamentarischen 
Kampfes höher gehen, die Stellung der Staatsregierung zu kennzeichnen 
und zu verteidigen. 
Es ist ja natürlich, daß bei einer überraschend eingebrachten Vorlage, 
einer Vorlage, bei welcher die politischen Motive erst in der ersten Lesung 
durch den leitenden Staatsmann vorgetragen worden sind, selbstverständlich 
eine gewisse Beunruhigung in der parlamentarischen Vertretung hervortritt, 
daß sofort, alter deutscher Gewohnheit entsprechend, die schwersten Angriffe 
gegen die Staatsregierung erhoben werden. (Oho! bei den Nationalliberalen.) 
Meine Herren, ich will ja ausführen, daß das in der Ordnung ist; 
die Staatsregierung hat die Verpflichtung, in solche Differenzen, die sich im 
öffentlichen parlamentarischen Leben zeigen, einzutreten und dasjenige Unbe- 
queme, das die Situation mit sich führt, getreu, loyal und gewissenhaft auf 
sich zu nehmen. Also ich glaube nicht, daß, hätten Sie mich ausreden lassen, 
Sie irgend einen Grund zu einem Mißfallen mir gegenüber gehabt hätten. 
Es ist ja auch naturgemäß, obwohl der Herr Vorredner meinen Namen 
nicht besonders genannt hat, daß ich dasjenige Mitglied der Staatsregierung 
bin, welches ganz vorzugsweise in der Lage ist, den Standpunkt, den sie 
jetzt einnimmt, in Uebereinstimmung des gesamten Staatsministeriums zu 
kennzeichnen. Die Differenz zwischen dem Herrn Vorredner und der Staats- 
regierung und mir ist die, daß der Herr Vorredner, wie es meistens auch 
in der Presse geschieht, eine Reihe von Momenten nicht richtig gewürdigt 
hat und kein Verständnis dafür haben will oder haben kann, wenn ich be- 
haupte, daß der Standpunkt, den ich hier im vorigen Jahre eingenommen 
habe, in keiner Weise ein entgegengesetzter ist von dem gegenwärtigen. (Un- 
ruhe und Heiterkeit.) Wenn Sie in dieser Weise widersprechen, um so
	        
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