Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

Die Oefterrrichisch-Angarische Menarchie. (November 14.) 211 
Der Minister müsse zugeben, daß die Sicherheitszustände sowohl in 
der Nähe des Sandschaks Novi-Bazar wie in dem Vilajet Kossowo und 
vielleicht noch in anderen Gebieten schlecht oder mindestens nicht gut seien. 
Die Ruhestörungen sind alle lokaler Natur und entspringen meist aus dem 
widerhaarigen Verhalten dieser undisziplinierten Völker gegenüber den Be- 
hörden, die wohl auch nicht immer vorwurfsfrei sein mögen. Was die Be- 
sorgnisse betrifft, daß im Orient große Verwicklungen gewöhnlich mit ähn- 
lichen Ruhestörungen begonnen haben, so meint der Minister, daß die Zeit 
vorüber sei, wo lokale Unruhen dieser Art zu größeren Verwicklungen führen 
önnten. 
Was die Dardanellen-Frage betrifft, so stehe die Sache bekanntlich 
so, daß im Sinne der europäischen Verträge die Dardanellen für die Durch- 
sehrt von Kriegsschiffen geschlossen sind und das Recht, eine Durchfahrt 
olcher Schiffe zu gestatten, dem Sultan allein zustehe. Bei Beurteilung 
dieser Frage ist es wichtig, den Unterschied zwischen Kriegsschiffen und Trans- 
portschiffen nicht aus den Augen zu verlieren. Die bedeutendsten südlichen 
Häfen Rußlands liegen im Schwarzen Meere, und es muß daher notwen- 
digerweise den Weg durch die Meerengen benützen, um die Verbindung und 
den Verkehr zur See mit seinen Provinzen in Ostasien aufrecht erhalten zu 
können. Dieser Verkehr wird neuestens am häufigsten mit der sogenannten 
Kreuzerflotte vermittelt, welche aus Schiffen besteht, die im Falle eines 
Krieges allerdings bestimmt sind, als Kriegsschiffe armiert zu werden, im 
Frieden aber der Regierung als Transportschiffe dienen und unter der Han- 
delsflagge fahren. Diese Schiffe sind während der letzteren Jahre zu wie- 
derholtenmalen auch für den Transport von Nekruten nach deren Bestim- 
mungsort, sowie umgekehrt zur Rückführung ausgedienter Soldaten in deren 
Heimat verwendet worden. Wegen mehrfacher Anstände mit den türkischen 
Behörden wurde schließlich ein Abkommen zwischen der Pforte und Rußland 
betreffs dieser Schiffe getroffen. Die Pforte hat, nachdem sie sich mit Ruß- 
land geeinigt, im Wege eines Zirkularschreibens den anderen Mächten gegen- 
über den Charakter dieses zur Regelung der Durchfahrt für Transportschiffe 
getroffenen Abkommene festgestellt und zugleich konstatiert, daß durch dasselbe 
an dem bisher bezüglich der Durchfahrt durch die Dardanellen bestehenden 
Prinzipe keinerlei Aenderung sich ergibt. Diese türkische Zirkular-Depesche 
hat uns und andere Mächte veranlaßt, von der Erklärung der Pforte Akt 
zu nehmen, bei welcher Gelegenheit neuerdings die durch die Verträge fest- 
gestellte Kloture der Dardanellen für Kriegsschiffe ausdrücklich konstatiert 
werden konnte. 
Indem der Minister zum Schluß seiner Erläuterungen im allgemeinen 
nochmals zusammenfaßt, glaubt er mit gutem Gewissen sagen zu können, 
daß die politische Lage unfrer Monarchie eine durchaus befriedigende sei, 
daß sie die ihr gebührende Stellung in Europa einnehme, daß sie freund- 
schaftliche und geregelte Beziehungen mit allen Mächten unterhalte und treue 
und mächtige Alliierte und Freunde besitze, mit welchen sie in voller Ueber- 
einstimmung die Wahrung der berechtigten gegenseitigen Interessen, die Er- 
haltung des Friedens und die gemeinsame Abwehr gegen jeden denselben 
etwa bedrohenden Angriff zum Ziele gesetzt hat. Unfrre Politik werde, wie 
es die europäische Lage mit sich bringt, stets eine kluge und vorsichtige sein 
müssen; wir wollen keine gefährliche Frage unnötigerweise aufwerfen und 
nicht ohne Not Gefahren herbeiführen, welche ohne Schädigung unfrer Inter- 
essen oder unfres Ansehens vermieden werden können. Wir werden aber 
darauf Bedacht nehmen müssen, unfre Wehrkraft auf jene Höhe zu bringen 
und zu erhalten, welche uns durch die Sorge für die Sicherheit unfrer 
Monarchie und die Wahrung unfrer Machtstellung unausweichlich erscheint. 
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