Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

Erankreith. (Dezember 12.) 243 
Rolle der Klerus bei der Konspiration vom 16. Mai spielte, bekämpfe man 
ihn doch nicht. Die Regierung sei aber zu fester Handhabung der Gesetze 
entschlossen nach dem Grundsatze: Dem Staate und der Kirche — jedem das 
Seine. Nach einer kurzen Unterbrechung der Sitzung ergreift Ministerpräsi- 
dent Freycinet das Wort. Es handle sich, führt er aus, um eine Frage 
der öffentlichen Ordnung und Disziplin. Die Haltung einiger Prälaten sei 
geradezu unerträglich. Wenn die jetzigen Mittel nicht genügen, werde die 
Regierung die Ermächtigung zur Anwendung nachdrücklicherer Mittel ver- 
langen. Wenn die bestehenden Gesetze dem Klerus nicht passen, so möge 
dieser keine Bischofssitze erstreben. Senator Buffet: Das ist ein Skandal. 
Präsident Leroyer: Erklären Sie dieses Wort. Buffet: Es ist traurig, zu 
sehen, daß ein Regierungsvertreter die Bischöfe als Bittsteller behandle. 
Ministerpräsident Freycinet (fortfahrend): Wir wollen den Frieden, aber 
wir wollen nicht die Gefoppten sein. Zwingt uns der Episkopat zur Tren- 
nung der Kirche vom Staate, so trägt er hiefür die Verantwortung. Wer 
der Republik die Achtung verweigert, der möge wissen, daß er nicht nur das 
Ministerium, sondern das ganze Parlament gegen sich hat. (Stürmischer 
Beifall.) Dem Wunsche der Regierung entsprechend nahm hierauf der Senat 
mit 211 gegen 57 Stimmen eine Tagesordnung an, welche die Regierung 
auffordert, die ihr zur Verfügung stehenden Rechte auszuüben, um dem 
Klerus die Achtung der Republik und die Unterwerfung unter ihre Gesetze 
aufzuerlegen. 
Die Rede Freycinets und die Tagesordnung sollen in allen 
Gemeinden Frankreichs öffentlich angeschlagen werden. 
12. Dezember. (Deputiertenkammer.) Auf eine ähnliche 
Interpellation wie im Senat erklärt Ministerpräsident Frey- 
cinet, er werde niemals dulden, daß der Klerus den Anspruch er- 
hebe, außerhalb der Gesetze zu stehen. Man müsse aus den heutigen 
Verhältnissen herauskommen. Die Regierung weise jedoch die Tren- 
nung von Staat und Kirche zurück. Sie werde im Januar ein 
Gesetz über Gesellschaften einbringen, ohne dabei gerade auf den 
Klerus abzuzielen. Der Klerus müsse eine Warnung erhalten; 
eine solche werde die Abstimmung des Parlaments sein. Alle die- 
jenigen, welche Anhänger der Oberhoheit des Staates seien, würden 
das Kabinett nicht schwächen wollen. Bischof Freppel tritt der 
Behauptung entgegen, daß der Klerus gegenüber der Republik eine 
feindselige Haltung einnehme, und betont, daß die dem Konkordat 
beigefügten organischen Artikel außer Uebung gekommen seien, und 
daß man sich deshalb dieser Waffe gegen den Klerus nicht bedienen 
dürfe. Die von der Regierung zurückgewiesene Tagesordnung Hub- 
bard, welche die Trennung von Staat und Kirche forderte, wird 
mit 346 gegen 181 Stimmen abgelehnt. Dagegen nimmt die 
Kammer mit 243 gegen 223 Stimmen die von Rivet beantragte 
Tagesordnung an, welche der im Senat angenommenen analog ist, 
von der Regierung acceptiert worden war. 
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