Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

246 Italien. (Januar 31.) 
füllt. Alle Minister waren anwesend. Viele Deputierte sprachen dafür und 
viele dagegen. Finanzminister Grimaldi trat für das Gesetz ein. Der 
Ministerpräsident Crispi erklärte, das fragliche Gesetz stehe in voller Harmonie 
mit seinem Turiner Programm, zählte alsdann die bereits vorgenommenen 
Ersparungen auf und versicherte, die Regierung werde sich weiter bemühen, 
um andere mögliche Ersparnisse zu machen, er könnte Bonghi erwidern, in- 
dem er ihn auf die Finanzen unter dem Regime der Rechten hinwiese; die- 
selben seien nicht besser gewesen, als die gegenwärtigen; aber er wolle aus 
Achtung vor den Gräbern keine Demonstration hervorrufen. Indessen sei 
die bis 1876 befolgte Politik sehr verschieden von der gegenwärtigen gewesen; 
sie sei dem Auslande gegenüber servil gewesen. (Lärm und Protestrufe.) Die 
Deputierten Rudini, Bonghi und zahlreiche andere Deputierte der Rechten, 
sowie der Minister der öffentlichen Arbeiten, Finali, verließen ihre Plätze. 
Der Präsident ermahnte die Kammer zur Ruhe. Ministerpräsident Crispi 
verlangte eine unzweideutige Abstimmung, wie man sie einem Ehrenmanne 
schulde, der gegen seine eigene Neigung auf seinem Platze verbleibt. Man 
müsse aus der gegenwärtigen Lage herauskommen, das Votum der Kammer 
werde im Inlande wie im Auslande ein Echo finden und darüber entscheiden, 
ob Italien eine starke Regierung wolle oder eine Regierung, welche aufs 
neue in Zögern und in Unentschlossenheit verfalle. (Lebhafte Zwischenrufe.) 
Luzzatti erklärte, nach den Ausführungen Crispis, welche diejenigen belei- 
digten, welche er (Luzzatti) in seinem Leben aufs höchste verehrt habe und 
die ihrem Lande stets treu gedient hätten, werde er gegen den Gesetzentwurf 
stimmen. (Beifall rechts. — Zwischenrufe. — Lebhafte Bewegung.) Minister- 
präsident Crispi erklärte, er habe niemand beleidigen wollen, am wenigsten 
Minghetti. Die Kammer stimmte über die von Willa eingebrachte, von der 
Regierung angenommene Tagesordnung ab, welche von den Erklärungen der 
Regierung Akt nimmt. Die einfache Tagesordnung wurde dann mit 186 
gegen 123 Stimmen abgelehnt. Die Kammer beschloß darauf, nicht zur 
Beratung der einzelnen Artikel überzugehen. Ministerpräsident Crispi er- 
klärte, er werde vom Könige weitere Befehle erbitten, und ersuche die Kammer, 
ss 4 vertagen, was unter großer Aufregung um 8 Uhr 15 Minuten 
geschah. 
Eine andere Erzählung lautet folgendermaßen: 
Auf der Tagesordnung stand ein kleines Finanzgesetz, dessen Ein- 
bringung die Beseitigung eines Teiles des Defizits zum Zwecke hatte, und 
obwohl dasselbe auf eine gewisse Opposition stieß, so zweifelte niemand daran, 
daß dasselbe schließlich mit großer Majorität durchgehen und der Regierung 
einen neuen Sieg einbringen würde. 
Die Diskussion begann in sehr ruhiger und wohlwollender Weise, 
und von mehreren Deputierten, welche bisher als erbitterte Opponenten gegen 
das Gesetz galten, waren sehr beruhigende Aeußerungen und Erklärungen 
abgegeben worden. Der Berichterstatter über das Gesetz, welcher zugleich 
auch Präsident der General-Budgetkommission war, hatte in einer glänzenden 
Schlußrede das Gesetz in sehr klarer und einleuchtender Weise verteidigt, der 
Finanzminister die letzten Aufklärungen gegeben, eine das vollste Vertrauen 
auf die Regierung aussprechende Tagesordnung war bereits verteilt worden 
und man erwartete bloß die Billigung des Ministerpräsidenten Crispi über 
die Begründung der Tagesordnung, welche die Regierung vorziehe. Der 
Ministerpräsident sprach anfangs sehr ruhig und sachgemäß, als er, durch 
eine bissige Bemerkung des Deputierten Bonghi verletzt, die Contenance ver- 
lor und sich zu einer Aeußerung hinreißen ließ, welche, die Politik des 
letzten Kabinetts der Rechten etwas allzuscharf angreifend, die Rechte so sehr 
 
	        
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