26 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 3.—6.)
sprüche von Sansibar zurückgezogen, die übrigens auch nie begründet waren,
sondern nur in dem faktischen Wettstreit zwischen Deutschland und England
ihre Begründung finden konnten, und haben geglaubt, daß wir ein sehr
gutes Geschäft machen, indem wir den 10 Seemeilen breiten Küstenstreifen
bekommen, ein sehr gutes um deswillen, weil wir ohne diesen Küstenstreifen
absolut nicht vom Fleck kämen. Wenn wir den nicht bekamen, war der
Vertrag mit der Ostafrikanischen Gesellschaft nicht möglich, und ich mag
kaum ausmalen, welche Zustände die Folge davon gewesen sein würden.
Wir haben durch den Vertrag ein abgegrenztes Gebiet in Ost-Afrika be-
kommen und haben dadurch die Möglichkeit, mit Organisationen vorzugehen.
Wie wir über die Interessensphäre und das Schutzgebiet und den Küsten-
streifen denken, ist Ihnen gestern gesagt worden. Da die Sache heute noch
einmal in diesem Punkte angeregt worden ist, so will ich bemerken: gewiß,
wir werden unsere unmittelbare Reichsverwaltung in dem Gebiet der Inter-
essensphäre immer weiter ausdehnen in dem Maße, als eben Deutsche in der
Interessensphäre vorgehen, und in dieser Beziehung hat es mich gefreut, den
Wert zu hören, der hier vom Herrn Abg. Oechelhäuser auf das Vorgehen
im Norden gelegt worden ist; denn gerade diese vormalige, streitige nördliche
Interessensphäre ist dasjenige gewesen, was wir bekommen haben, die süd-
liche ist den Engländern geblieben. In der Vortragsentscheidung Sr. Ma-
jestät, die ich mir erlaubt habe, Ihnen vorzulesen, wird schon gesagt, wir
sollten auf die nördliche hinwirken und dafür die südliche preisgeben. Wir
hatten schon damals den Eindruck, daß die nördliche, in der der ganze Vik-
toria-Nyanza und ein Ufer des Tanganjika liegt, für uns ungleich wertvoller
sei, als die südliche, die nach dem portugiesischen Gebiete hingeht. Das,
was der Herr Abg. Oechelhäuser sagte, und die Erfahrung, die wir bis
jetzt gemacht haben, bestätigen, daß wir in dieser Wahl recht gethan haben.
Es ist vielleicht England auch nicht ganz leicht geworden, uns diesen nörd-
lichen Teil zu lassen; denn er liegt dem nördlichen englischen Teil nahe
und ist wohl auch fruchtbarer im Vergleich zu dem, worum England am
Zambesi sich noch streitet. Wenn wir nun zu organisieren anfangen werden,
so wird unser Bestreben dahin gehen, das, was wir nun schon fest haben,
nach und nach weiter auszubauen und von da ins Innere zu gehen, also
von der Küste ins Inland zu organisieren und nicht umgekehrt. Es hat
Afrikakenner gegeben, die der Meinung waren, es wäre besser, man finge
bei den Seen an und drehe die Sache um. Der Meinung sind wir nicht,
wir müssen von da aus, wo wir unsere Bezugsquellen haben, also von der
Küste aus nach dem Inlande vorgehen. Wir werden das thun in dem
Maße, als wir die Mittel finden und nicht auf Schwierigkeiten stoßen, deren
Ueberwindung Zeit und Geld kostet. Soweit ich jetzt übersehen kann, wird
das im Norden nicht der Fall sein. Wir werden verhältnismäßig schnell
an die Seen kommen, und wenn wir mit den vorhandenen Mitteln auch
nur eine einzige Karawanenstraße mit kleinen Stationen werden befestigen
können, so glaube ich, daß damit viel gewonnen sein wird. Wir wollen die
Verwaltung als unmittelbare Reichsverwaltung oder, wenn der Ausdruck
erlaubt ist, obwohl er für das Deutsche Reich absolut unkorrekt ist, als
Kronkolonie übernehmen. Der Herr Abg. Bamberger hat uns vorgeworfen,
daß wir damit mit unserer Vergangenheit brächen. Es kann sein, daß er
damit recht hat, aber die Verhältnisse zwingen uns dazu, und „der Not
gehorchend, nicht dem eigenen Triebe“, übernehmen wir die unmittelbare
Reichsverwaltung, weil, wenn wir das nicht thäten, aus ganz Ost-Afrika
voraussichtlich nichts werden würde. Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft
ist mit uns damit einverstanden, da sie nicht in der Lage ist, Deutsch-Ost-
afrika selbst zu verwalten. Sie hat sich deshalb an die Regierung gewendet