Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 3.—6.) 31
einer absteigenden Linie zuletzt in der Behauptung gipfelte, die deutsche
Regierung habe Unrecht gethan, englische Karten dem deutsch-englischen Ab-
kommen zu Grunde zu legen, man müsse das künftig deutsch machen. Man
hätte mit demselben Recht von uns verlangen können, daß wir etwa statt
des Längengrades von Greenwich den von Köln oder Berlin unseren Ab-
machungen zu Grunde legen sollten. Ich bin mir nicht bewußt, daß die
gegenwärtige Regierung zu einem solchen Urteil über ihr Verhalten England
gegenüber und ihre Auffassung der gegenwärtigen Kräfte und Machtverhält-
nisse Anlaß gegeben hat.
Wenn er aus dieser seiner Ansicht heraus weiter den Schluß zieht,
diese Schwäche oder Unaufmerksamkeit der Regierung trage die Schuld, daß
unsere Schiffe nicht rechtzeitig nach Chile gekommen seien, so darf ich mich
darauf beziehen, daß deutsche Kriegsschiffe nicht zahlreich genug im Auslande
stationiert sind, um immer rechtzeitig da sein zu können, wo etwa Unruhen
ausbrechen und deutsche Interessen gefährdet sein können. Das ist im vor-
liegenden Fall aber so. Wenn wir ein Kriegsschiff nach Chile hätten kommen
lassen wollen, so hätten wir es von unserer Station in der Südsee weg-
nehmen müssen. In der Südsee haben wir wenige Schiffe, da würden sie
gefehlt haben, in Samoa oder Neu-Guinea. Vielleicht sind sie da noch
nötiger, als wenn sie in Chile sind. Hätten wir das aber befohlen, so ist
die Befehlserteilung nach der Südsee eine etwas langsame; der Telegraph
reicht nicht überall hin, da ist ein weiter Weg zu machen, und ich habe die
Vermutung: das deutsche Kriegsschiff, welches dann nach Chile gegangen
wäre, wäre wahrscheinlich angekommen, wenn in Chile längst wieder Frieden
war. Wir haben das Mittel gewählt, das, soviel ich weiß, seit unvordenk-
lichen Zeiten in solchen Fällen gewählt wird, daß sich eine Nation an die-
jenige andere wendet, die in der Lage ist, zunächst die erforderliche Hilfe
schaffen zu können. Es wenden sich andere Nationen, Engländer, Russen, in
solchen Fällen an uns, und wir haben uns in diesem Falle an England
gewandt; ich vermag nicht abzusehen, daß wir damit Unrecht gethan hätten.
Das zweite Gravamen ist Witu. In Witu sind die Interessen von
Deutschland dadurch verletzt worden, daß eine Unruhe ausbrach, die das
Leben von Deutschen gekostet und ihr Eigentum gefährdet hat. Ich habe,
als ich gestern von Witu sprach, geflissentlich mich gehütet, auf diese Dinge
einzugehen, weil mir das peinlich war; wenn der Herr Abg. von Cuny das
aber wünscht, so bin ich bereit, näher darauf einzugehen. Die Expedition,
die unter Herrn Künzel nach Witu ging, setzte sich zweifellos außer Herrn
Künzel aus lauter rechtschaffenen Männern zusammen. (Heiterkeit links.)
Was aber Herrn Künzel anbetrifft, so war er ein Mann, der, in einer
kleinen bayerischen Stadt geboren, ursprünglich zum Seminaristen bestimmt,
dann Forsteleve, nachdem er seiner Dienstpflicht genügt hatte, nach Amerika
ging. Der Mann wurde sodann, von dort hieher zurückgekehrt, von einem
deutschen Gericht wegen Betruges mit zwei Monaten Gefängnis bestraft, ist
in die französische Fremdenlegion getreten, mit der nach Tongking gegangen,
in Singapore desertiert. Dann zum erstenmal nach Witu gegangen, hatte
er dort einen sehr schlechten Ruf, nicht nur bei den Deutschen, sondern auch
bei dem Sultan von Witu zurückgelassen, der den Eindruck von ihm erhalten
hatte, er sei ein Lügner. Wie es nun gekommen ist, daß ein Mann mit
diesen Antecedenzien andere rechtschaffene Deutsche unter seine Fahne sammeln
und mit denen seine Expedition ausrüsten konnte, das weiß ich nicht. Sie
können aber aus dem Weißbuch lesen, daß Herr Meuschel sich beim Aus-
wärtigen Amt vorsichtigerweise erkundigt hatte, und daß das Auswärtige
Amt, dem alle diese Antecedenzien bekannt waren, Herrn Meuschel rechtzeitig
gewarnt hatte, nicht mit Küngel zu gehen; trotzdem ging Herr Meuschel