80 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 4.)
4. Mai. Im Abgeordnetenhause äußert Kultusminister Graf
v. Zedlitz-Trützschler zum Volksschulgesetz:
Ich erkenne rückhaltslos die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung
des Schulwesens an. Diese meine Auffassung gründet sich nicht nur auf die
selbstverständliche Pflicht, die Bestimmungen der Verfassung endlich zur Aus-
führung zu bringen, sondern auch auf vieljährige eigene und zwar eingehende
Beschäftigung mit dem Volksschulwesen selbst. Der gegenwärtige Zustand
der Volksschule erscheint auf die Dauer schwer erträglich, dieser Zustand wirkt
auch lähmend auf die Verwaltung. Endlich halte ich auch die Ordnung der
inneren und äußeren Verhältnisse des Lehrerstandes für dringend geboten.
Wenn ich trotz solcher Sachlage Bedenken trage, in die volle Beratung des
Gesetzentwurfs sofort einzutreten, so geschieht dies, weil ich den Wunsch hege,
über die schweren und auf Jahrzehnte hinaus entscheidenden Prinzipienfragen
zu eigener Prüfung und Entschließung zu gelangen. Mein Wunsch scheint
um so berechtigter, als, wenn ich richtig informiert bin, auch innerhalb des
hohen Haufes die Parteien zu einer Einigung noch nicht gelangt sind. Ebenso
glaube ich, daß nach der geschäftlichen Lage des Hauses an eine Verabschiedung
des Gesetzes in der laufenden Session doch nicht wohl gedacht werden kann.
Ich bin deshalb ermächtigt, namens der königlichen Staatsregierung zu er-
klären, daß dieselbe auf die Beratung der in Frage stehenden Vorlage ein
entscheidendes Gewicht nicht legt. Gleichzeitig aber betone ich, daß damit
die bezügliche Beratung nicht in unbestimmte Ferne hinausgerückt werden
soll, und ich versichere, daß, was an mir liegt, alles geschehen soll, um Sie
sobald wie möglich vor die wichtige und bedeutungsvolle Aufgabe zu stellen.“
(Beifall.)
Namens des Zentrums erklärte Frhr. v. Heereman, daß sich seine
Partei in ihren Beschwerden möglichste Zurückhaltung auferlegen werde. Sie
komme der Regierung mit Vertrauen entgegen, erwarte aber auch, daß auf
Abstellung von Schäden und Uebelständen ernstlich Bedacht genommen werde.
Redner bringt dann eine Reihe von Klagen vor, die von den Katholiken
erhoben werden müßten.
4. Mai. (Düsseldorf.) Bei seiner Reise in die Rhein-
provinz hält der Kaiser auf einem Fest im Provinzialständehause
folgende Rede:
Ich danke der Rheinprovinz für ihre Gesinnung, ein Ausdruck der-
selben ist dieses Fest. Nicht als Fremder bin Ich hier unter Ihnen und
nicht an fremdem Ort; diese Stätte, diese Räume sind Mir wohlbekannt.
Ich habe sie besucht, als Ich noch in Bonn studierte, und das letzte Mal
konnte Ich die Huldigungen miterleben, die Sie Meinem dahingeschiedenen
glorreichen Herrn Großvater bereiteten und die ein unauslöschliches Denkmal
der Erinnerung in Unser aller Herzen gelassen haben. Daß Ich selbstverständ-
lich für die Rheinprovinz besonders innige Gefühle hege, brauche Ich nicht
zu erwähnen; denn diejenigen, die mit Mir zusammen gelebt und studiert
haben, wissen das. Eines aber möchte Ich hervorheben, daß es Mir eine
besondere Freude ist, am heutigen Tage in dieser Stadt dieses herrliche Fest
entgegenzunehmen: Es ist der Umstand, daß in dieser Stadt auf Befehl Meines
seligen Herrn Großvaters Ich zum erstenmal im Leben öffentlich aufgetreten
bin, indem Ich bei der Enthüllung des Cornelius-Denkmals Meines Herrn
Vaters Majestät zu vertreten zum erstenmal die Ehre hatte. Seit der Zeit
sind zwölf Jahre vergangen und in den letzten Jahren hat sich manches ge-
ändert. Die erhabene Erscheinung des hohen Herrn ist verblichen. Ihr folgte
manches werte Glied der Familie, es folgte ihr vor allen Dingen die herr-