96 Jas Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 16.—18.)
16. Mai. Bei dem Festmahle im Landeshause zu Danzig
erwidert der Kaiser auf den Kaisertoast des Herrn von Groß-
Klanin in einer Rede, die mit folgenden Worten schließt:
Sie haben erwähnt, wie wir zusammengekommen find; Sie haben
auch zum Ausdruck gebracht, was Ihr Herz bedrückt: Das beschäftigt auch
Mein landesväterliches Herz und Ich betrachte es als die Aufgabe Meiner
Regierung in steter Sorge auch um diese Provinz deren Wohlergehen zu
fördern und ihrer in gleicher Teilnahme und Fürsorge zu gedenken, wie
einer jeden anderen Provinz.
Ich habe aber das feste Vertrauen, daß dieses kernige Volk der
Westpreußen, welches schon so viel für Mein Haus und Land gethan, welches
die hervorragenden Eigenschaften des Fleißes, der Arbeitsamkeit, der Hingabe
bis aufs äußerste besitzt, dessen Söhne mit Freuden in jener Schar der Aus-
erwählten stehen, die stahlbewährt den Todenkopf am Haupte führen, daß
die Söhne dieses Landes in Geduld sich darein ergeben, was uns der Himmel
schickt, und vertrauend erwarten, was mit Gottes Hilfe im Laufe arbeitsamer
Jahre für sie zu thun Mir gelingen wird.
Mitte Mai. (Karlsruhe.) Die badische zweite Kammer
nimmt einen Antrag Muser an, „auszusprechen, daß die zweite
Kammer mit der Einführung des direkten Wahlrechts einverstanden
sei und verlange, daß bei dieser Gelegenheit eine Gesamtrevision
der Verfassung stattfinde."
Mitte Mai. Die „Allgemeine Reichskorrespondenz“ in Berlin
bringt die Nachricht von einer plötzlichen Erkrankung des Sultans.
Da die Meldung vollständig erfunden ist, forscht man ihrer Her-
kunft nach und sie stellt sich heraus als eine russische Intrigue,
um zwischen dem Sultan (bei welchem gerade der Erbprinz und die
Erbprinzessin von Meiningen zum Besuch sind) und dem Deutschen
Reich Mißtrauen zu säen. Um den Unfug energisch zu bestrafen,
weist die Regierung den Herausgeber der „R. A.-K.“, Herrn Wesse-
litzki aus Berlin aus.
18. Mai. Der Kultusminister Bosse hält bei dem 50-=
jährigen Jubiläum der rheinischen Ritterakademie Bedburg eine
Rede, welche er folgendermaßen schließt:
Daran aber darf ich den Wunsch knüpfen, daß es dieser Anstalt ge-
lingen möge, auch fernerhin im Sinne ihrer Gründer weiter zu wirken, die
autoritativen Grundlagen des menschlichen Lebens zu befestigen, und so die
Aufgaben, die ihr gestellt sind in der Pflege einer innerlich frei machenden,
einheitlichen und harmonischen Bildung der Jugend, zu erfüllen. Es sollen
hier Männer von geschlossenem Charakter herangebildet werden, die die Kraft
besitzen, auf festem und ewigem Grunde die vorher bezeichneten Ziele zu er-
reichen. Die Zukunft wird uns noch heftigere Stürme bringen, als wir sie
bereits erlebt haben. Und in diesen Stürmen wird wahre Religiosität die
Stütze sein, die allein den Sieg verbürgt. Ja, wenn es gelingt, auf dieser
Grundlage eine frische, fröhliche, thatkräftige Jugend hier heranzubilden,
dann wird reicher Segen hier von Bedburg aus in alle Lande gehen. Ich