Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

128 IIILIILEIIIIITTII 
der Kirche gegenüber zu vertreten und die schließlich dahin gekommen ist, 
thatsächlich die Rechte der Kirche und der Polen dem Könige gegenüber zu 
vertreten. Das ist ein Rückblick. Manche von Ihnen werden Geschichte 
studieren. Dieses Licht zurückzuwerfen, konnte ich nicht unterlassen. Aber 
eins können wir vom Zentrum lernen, das ist die Disziplin und die Auf- 
opferung aller Neben= und aller Parteizwecke für einen großen Zweck. Sie 
sehen im Zentrum die entlegensten politischen Elemente vereinigt. In allen 
Zeiten meiner Erinnerung nach waren vollständig reaktionäre Edelleute, 
Absolutisten, Konservative und sogar Freisinnige bis zu den Sozialdemo-= 
kraten darunter, und sie alle stimmen wie ein Mann über Dinge, von 
denen ihr Verstand sagt, das Interesse der Kirche erfordere es. Könnten 
wir nun nicht, da wir eine nationale Kirche nicht besitzen, eine ähnliche 
dominierende Ueberzeugung über alle Parteiregierung hinaus bei uns fest- 
halten, daß wir entschlossen sind, für alles zu stimmen, was unfre nationale 
Festigkeit und Sicherheit fördert und gegen alles, was sie untergräbt und 
hindert ? 
Und daß darüber kein Fraktionsunterschied zwischen denjenigen Frak- 
tionen, die überhaupt das Deutsche Reich fördern und erhalten wollen — 
das sind durchaus nicht alle — stattfinden sollte, sondern ein Kartell! Wir 
wollen die Interessen des Vaterlandes zu oberst stellen und jede Frage 
unter diesen Gesichtspunkt stellen analog der Prüfung des Zentrums aus 
dem römisch-kirchlichen Gesichtspunkt. Es kann der größte Widerspruch und 
die größte Inkonsequenz vom Zentrum verlangt werden. Wenn jedoch die 
Autorität, die dazu berufen ist, erklärt: die kirchlichen Interessen verlangen 
es, so zaudern sie keinen Augenblick: laudabiliter sese objiciunt. Warum 
sollten wir nicht etwas Aehnliches im nationalen Gebiet erreichen, warum 
sollten wir nicht unsern nationalen Ueberzeugungen mit derselben Energie 
und ausschließlich Folge leisten und, wie die Mitglieder des Zentrums von 
Lieber und Hitze bis zum Herrn von Schorlemer hinauf (Heiterkeit), alles 
über ein Kammstück scheren!? Es ist das von den Selbständigen unter 
unsern Freunden nicht in demselben vollen Maße zu erwarten, aber man 
muß sich das immer vorhalten. Vom Feinde soll man lernen, und das 
Zentrum halte ich nach wie vor für einen Gegner des Reichs in seiner 
Tendenz, nicht in allen seinen Mitgliedern. Es gibt ehrliche Deutsche in 
Masse unter ihnen, aber die leitende Tendenz ist eine solche, daß ich es als 
ein Unglück und eine Gefahr für das Reich betrachte, wenn die Regierung 
ihre leitenden Ratgeber der Zentrumsrichtung entnimmt und ihre Tendenz 
hauptsächlich darauf zuspitzt, dem Zentrum zu gefallen. Es ist das keine 
dauerhafte Stütze. Ich will in Frieden mit unsern katholischen Mitbürgern 
leben, aber will mich nicht ihrer Leitung unterziehen. (Lebhafter Beifall.) 
Ich bin eingeschworen auf eine weltliche Leitung eines evangelischen Kaiser- 
tums (Beifall) und dem hänge ich treu an, und wenn man mir in jedem 
Falle, wo ich nach meiner 50jährigen Erfahrung in der Politik glaube, 
daß die Ratgeber meines Monarchen besser andere Wege einschlagen würden, 
den Vorwurf macht, ich treibe antimonarchische Politik, so möchte ich doch 
einmal auf unfre bestehende Verfassung aufmerksam machen, nach welcher 
die Verantwortlichkeit für alle Regierungsmaßregeln nicht bei dem Monarchen, 
sondern bei dem Reichskanzler und den Ministern ruht. Ich möchte außer- 
dem darauf aufmerksam machen, daß diese Auffassung — ich will nicht 
sagen eine altgermanische — aber eine uns in Fleisch und Blut liegende, 
lange ehe wir Verfassungen hatten, gewesen ist. Ich will Sie nur an ein 
Beispiel aus den Werken des großen Geistes, dessen Manen hier auf dieser 
Stätte uns umschweben, erinnern. Goethe stellt uns in seinem Götz von 
Berlichingen einen kaisertreuen Ritter dar, der für seinen Kaiser eine solche
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.