Das Veenische Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 4.—9.) 149
dem „blutsverwandten republikanischen Frankreich" und im Süden ist man
vielfach päpstlichem Einfluß zugänglich.
„Bis zum Berliner Kongresse überwog also des Kaisers Alexander
Vertrauen und Wohlwollen für mich alle Abneigung Gortschakows — und
zwar auch beim russischen Volke. Hauptsächlich von da an stellt sich der
Deutschenhaß und die Kriegshetzerei in einem Teile der russischen Presse ein.
Die Feinde des Friedens mit Deutschland find aber in Rußland in Wahr-
heit nur die Juden und namentlich die Polen. Die Polen sind gescheiter,
gebildeter und gewandter als die Russen. Sie sind auch Meister der Ver-
schwörung und Verstellung. Sie verstehen zu schweigen zwanzig Jahre
lang, bis sie endlich die russische Maske abwerfen und als Polen dastehen.
Die Russen haben nur Talent für novellistische Leistungen, Romane und
dergleichen, aber nicht für Politik. Sie wissen ganz genau, was sie sich
seitens der Polen zu versehen haben. Aber sie sagen: nous le voyons
bien arriver, mais nous les penderons. Indessen ist noch nicht gewiß,
wer hängt und wer gehangen wird. Mit unglaublicher Geschicklichkeit
haben sich die Polen in alle Stellungen des russischen Reiches hineingelegt.
Ihre alleinige Hoffnung ist der Krieg gegen Deutschland, bei dem Rußland
den Kürzeren zieht und das polnische Reich wiedererstehen soll. Freilich
würden wir auch bei einem sehr glänzenden Siege dazu am wenigsten die
Hand bieten, dieses Reich wieder aufzurichten. Von den Juden habe ich
schon gestern gesprochen. Sie sind für den Krieg, weil es ihnen in Ruß-
land schlecht geht, und sie hoffen auf Deutschlands Sieg, um ihre Lage
zu verbessern. Beiläufig bemerkt, sollte unser Antisemitismus daraus lernen,
daß er keineswegs im Besitze des richtigen „Wanzenmittels“ ist, wenn er
darauf ausgeht, unfre Juden so schlecht als möglich vom Staate und der
Gesetzgebung behandeln zu lassen. Dann ist ein weiterer Kriegsfreund in
Rußland der Nihilismus. Er denkt, er könne seine Pläne auf den Trümmern
eines Rußland nachteiligen Schlachtfeldes verwirklichen. Dann sind dort
in demselben Sinne thätig die Geldmittel der Franzosen, Engländer und
Polen — die ja teilweise noch Geld haben. Das Interesse der Franzosen,
Rußland zu einem Kriege zu drängen, an welchem sie sich je nach dem
Verlaufe desselben entweder beteiligen können oder nicht, liegt ja auf der
Hand. Auch die Engländer sähen es sehr gern, daß wir uns mit Ruß-=
land schlagen, um den Engländern ihre indischen Sorgen für immer abzu-
nehmen. Wenn sich nun diese kolossale vereinigte Kaufkraft auf die russi-
schen und polnischen Preßleiter stürzt, so ist es erklärlich, daß diese Cinci-
natusse erliegen, zumal da sie auch sonst nicht gern mit einem Rübengericht
sich begnügen.“
4. November. (Stuttgart.) Beisetzung der Königin von
Württemberg in Gegenwart des Kaisers.
8. November. (Kiel.) Der Kaiser wohnt der Vereidigung
der Marine-Rekruten bei.
9. November. (Berlin.) Eröffnung des Landtages mit
folgender Thronrede, die der Ministerpräsident Graf Eulen-
burg verliest:
Erlauchte, edle und geehrte Herren von beiden Häusern des Landtages!
Seine Majestät der Kaiser und König haben mich mit der Eröffnung
des Landtages der Monarchie zu beauftragen geruht.
In der Finanzlage des Staats, auf deren voraussichtlich ungünstige