230 Bie Gesterreichis-Angarische Monarchie. (Juni 21.)
sind, welche ich früher im Dunklen hielt, weil eben alles geändert und ge-
wendet werden mußte.“
Das Gespräch nahm nun von selbst eine rein politische Wendung
und Fürst Bismarck sagte:
„Mein Standpunkt war, daß wir nach dem Jahre 1871 alles er-
reicht hatten, was wir zur Selbständigkeit und zu einer anständigen natio-
nalen Existenz brauchten. Deutschland kann unmöglich die Vermehrung
seines Gebiets anstreben, nach keiner Richtung, sei es nun an der französi-
schen, belgischen oder russischen Grenze. Was sollen wir denn auch wünschen?
Wir sind gesättigt, und der Zustand Deutschlands erinnert mich an eine
Aeußerung des Grafen Andrassy, welcher sagte: „Das Schiff Ungarns ist
so voll, daß ein Pfund mehr, sei es nun Dreck oder Gold, es zum Scheitern
bringen könnte."“ Wir haben ohnehin nichtdeutsche Elemente genug, und
ein Krieg ist keine Kleinigkeit. Ich habe selbst Kriege mitgemacht. Der
böhmische, der war weniger bedeutend, aber der französische, der war viel
mehr. Ich schrecke vor einem notwendigen Kriege nicht zurück und selbst
nicht vor einem anständigen Untergang. Aber was soll ein Krieg, der kein
Ziel hat und der, wenn uns Gott den Erfolg gibt, gar keinen Gewinn
bringt? Sollen wir einen Raubzug nach Rußland unternehmen, um dort
Gold zu holen? Das wäre schwer“, sagte der Fürst lachend. „Oder soll
Rußland ähnliches in Deutschland thun? Auch Rußland kann keinen Wunsch
haben, sein Gebiet auf unsere Kosten zu vermehren, denn es wird mit den
Deutschen in den baltischen Provinzen ohnehin schwer fertig. Deshalb war
mein Gedanke, bei der Schaffung des österreichischen Bündnisses gerade im
österreichischen Interesse und damit wir die österreichische Politik wirksamer
unterstützen und fördern könnten, den Zusammenhang mit Rußland nicht
zu verlieren und uns immer die Möglichkeit zu erhalten, mit der russischen
Politik in Fühlung zu bleiben. Das liegt ja im österreichischen Interesse,
denn was will Oesterreich! Oesterreich will den Frieden, und ich denke,
Oesterreich hat „Bosnier“ wohl genug. Nicht wahr,“ wiederholte der Fürst,
„Sie haben genug Bosnier und wünschen sich keine Vermehrung?“
„Und hat sich dieser Zustand seit der Demission Eurer Durchlaucht
geändert?!“
Der Fürst antwortete mit einer raschen Wendung des Kopfes sehr
energisch: „Jal Jal“
„Wodurch?"
„Dadurch, daß wir keinen Einfluß mehr auf die russische Politik be-
sitzen, daß wir nicht mehr in die Lage kommen, Rußland zu raten. Was
kann denn ein Staatsmann thun? Er muß die Kriegsgefahr kommen sehen
und sie verhüten. Es ist wie bei der Steeple-Chase. Man muß wissen,
wie das Terrain ist, auf dem man sich bewegt, ob man auf Sumpf= oder
festen Boden kommt. Man muß die Erfahrung haben, ob man die Kraft
hat, ein Hindernis zu nehmen, und ob der Graben nicht zu breit ist, um
über ihn hinwegzusetzen. Nicht wahr, Sie verstehen mein Gleichnis?“
„Gewiß, Durchlaucht, aber durch welche Thatsachen sind die Verän-
derungen in den Beziehungen zu Rußland nach der Demission Eurer Durch-
laucht eingetreten?“"
Fürst Bismarck antwortete: „Diese Thatsachen sind das Schwinden
des persönlichen Vertrauens und somit des persönlichen Einflusses auf den
Kaiser von Rußland. Ich hatte durch das Vertrauen, welches man mir
schenkte, Einfluß auf den russischen Botschafter in Berlin. In der letzten
Unterredung, die ich mit dem Kaiser von Rußland vor meiner Demission
hatte, sagte er mir, nachdem ich ihm meine politischen Anschauungen dar-
gelegt hatte: „Ja, Ihnen glaube ich, und in Sie setze ich Vertrauen, aber