Frankreich. (Februar 16.—18.) 263
in der Kirche Saint Sulpice eine Predigt, die den Opportunismus
der vatikanischen Politik verkündet und zugleich zeigt, daß die Mo-
narchie vom Papsttum keine Hilfe gegen extreme Richtungen zu er-
warten hat.
Pater Maumus, dessen Predigt dem päpstlichen Nuntius zur Billi-
gung vorgelegen hatte, sagte u. a.: „Als das römische Kaiserreich vor seinem
Zusammensturz stand, hielt die Kirche sich an die göttliche Seite ihrer
Sendung und ohne sich um die politische Frage zu kümmern, streckte sie
den Barbaren die Arme entgegen. Heute besteht eine neue Kraft, darüber
darf man sich nicht täuschen. Wie ehemals, als die Barbaren über das
römische Reich herfielen, erhebt sich jetzt diese neue Kraft und fordert ihren
Platz an der Sonne. Diese Kraft, mit der man rechnen muß und der
heutigen Gesittung das Leben oder den Tod bringen muß, ist die Demokratie.
Der unsterbliche Papst Leo XIII. hat in einer glänzenden Enchklica folgender-
maßen für die Demokratie Partei ergriffen: Er sagt den Bischöfen und den
Priestern: „Hier sind neue Barbaren; geht zu ihnen hin; ihr werdet mit
ihnen den Tempel der Zukunft gründen."“ Die Kirche wird demokratisch
werden, und darin wird sie den Lehren ihres Vaters, ihres Gründers und
des heiligen Paulus folgen.“
16. Februar. Der Papst erläßt eine Encyklika an die Erz-
bischöfe, die Bischöfe, den niederen Klerus, sowie alle Katholiken
Frankreichs, worin er seinen Schmerz darüber ausdrückt, daß ge-
wisse Männer sich zur Vernichtung des Christentums in Frankreich
zusammengethan hätten, und die Mahnung an alle französischen
Katholiken richtet, für die Beruhigung ihres Vaterlandes einzutreten,
sowie es als eine Pflicht für alle hinstellt, die bestehende Regierung
anzuerkennen und nichts zu ihrem Sturze zu unternehmen. Bezüg-
lich des mehrfach erhobenen Einwandes, daß die Katholiken die
Republik wegen ihrer antichristlichen Gefinnungen nicht mit gutem
Gewissen anerkennen könnten, bemerkt die Encyklika, man müsse
zwischen der einmal bestehenden Regierung und den gesetzgebenden
Körperschaften unterscheiden. Deshalb sollten sich alle guten Ka-
tholiken vereinigen, um mit allen verfassungsmäßigen Mitteln die
Mißbräuche der Gesetzgebung zu bekämpfen. Am Schluß spricht
sich die Encyklika gegen die Trennung von Staat und Kirche und
für die Konkordatspolitik aus.
18. Februar. Deputiertenkammer. Der radikale Deputierte
Hubbard beantragt die Dringlichkeit für den von der Regierung
unlängst eingebrachten Gesetzentwurf über die Genossenschaften, um
damit eine Antwort auf die Angriffe des Episkopats zu erteilen.
Ministerpräsident Freycinet erklärt, die Vorlage bezwecke keineswegs
die Verfolgung der Kirche und bilde nicht eine Einleitung zur
Trennung der Kirche vom Staate. Freycinet rühmt den versöhn-