Belgien. (November 6. —8.) 291
6. November. (Brüssel.) Die Radikalen und Sozialisten be-
schließen in einer Massenversammlung, von der Forderung des all-
gemeinen Stimmrechtes nicht abzulassen, sondern dasselbe durchzu-
setzen. Die Konstituante solle unter Androhung eines Volksauf-
standes gezwungen werden, das allgemeine Stimmrecht zu beschließen.
Die Bürgerschaft und die Arbeiter werden aufgefordert, für das
allgemeine Stimmrecht zu demonstrieren, trotz des Verbotes. Alle
Redner erklären, sie wünschten eine friedliche Lösung; falls aber
das allgemeine Stimmrecht vorenthalten werde, würde man es er-
zwingen. Anseele sagt, die Führer der Bewegung würden auch vor
den Bajonetten die ersten sein. Die liberale Presse fordert ein-
stimmig die Bürgerschaft auf, gemeinsam mit den Sozialdemokraten
zu demonstrieren.
7. November. (Brüssel.) Alle unter freiem Himmel ange-
sagten Versammlungen werden verboten.
8. November. (Brüssel.) Eröffnung der Kammer durch den
König. Die Thronrede sagt in Betreff der Verfassungsrevision:
„Die Kammer hat in Uebereinstimmung mit der Regierung be-
schlossen, daß verschiedene Punkte unserer politischen Organisation einer
eingehenden Prüfung zu unterziehen sind, und in der feierlichen, besonderen
Befragung, welche von unserer Grundakte vorgeschrieben wird, haben die
derzeitigen Wähler den Abgeordneten soeben das Mandat erteilt, eine er-
hebliche Ausdehnung des Stimmrechts ins Werk zu setzen. Hieran knüpfen
sich andere Aufgaben von derselben Bedeutung, und ihre Lösung wird ein
wesentlicher Gegenstand der bevorstehenden Session sein. Indem unsere
Voreltern die Verfassungsrevision der Genehmigung durch eine ausnahms-
weise Majorität unterwarfen, wollten sie, daß diese Revision nicht das Werk
einer Partei sei. In diesem Geiste werden durch meine Regierung Vor-
schläge unterbreitet werden, und ich bin überzeugt, daß die revidierte Ver-
fassung ebenfalls ein Werk der Eintracht, der Weisheit und des Fortschritts
sein wird.“ — Ueber die Beziehungen zum Auslande sagt die Thronrede,
daß dieselben nach wie vor von dem Geiste gegenseitigen Vertrauens ge-
tragen seien. Die Thronrede hebt hervor, daß wichtige internationale Ver-
sammlungen auf politischem Gebiet abgehalten worden sind, und daß Brüssel
nächstens Sitz der Münzkonferenz sein wird. Die Maasbefestigungen, die
nunmehr fertiggestellt seien, würden das Land noch besser in den Stand
setzen, die Pflichten der Neutralität zu erfüllen, an welchen jederzeit fest-
zuhalten Belgien fest entschlossen sei. Bei Erwähnung der Industrie und
des Handels erinnert der König an die Schwierigkeiten, welche aus dem
allgemein herrschenden Unbehagen herrührten, und zu denen sich die Er-
schwerungen durch strenge Schutzzollmaßregeln gesellten. Produktion und
Handel seien indessen nicht vermindert, an Stelle verlorener Absatzgebiete
seien neue getreten, die den Gegenstand beständiger Fürsorge der Regierung
bildeten. Die finanzielle Lage bleibt befriedigend.
Die Thronrede behandelt im übrigen innere Fragen, insbesondere
die Besserung in der Lage der arbeitenden Klassen.
Bei der Auffahrt des Königs bilden Soldaten und Bürger-
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