Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

Mas Veuische Reich und seine rinzelnen Glieder. (Januar 28.) 27 
stehenden thatsächlichen Zustande abweicht und in denen er insbesondere auf 
prinzipiell gefährliche Bahnen uns hinführen will. 
Meine Herren, ich will dann noch über einzelne Punkte einiges sagen. 
Man hat zunächst geklagt über die konfessionelle Einrichtung der Volksschule. 
Ja, meine Herren, ich muß Ihnen offen sagen: ich habe mit großem In- 
teresse den Ausführungen der Gegenseite zugehört, und ich habe mir gesagt: 
was wollen die Herren eigentlich oder worin sind die Herren eigentlich 
einig? Einige wollen keinen Religionsunterricht, glaube ich, und nur kon- 
fessionslose oder, wie man dann sagen muß, religionslose Schulen; einige 
wollen Schulen, in denen ein Religionsunterricht konfessionell erteilt wird, 
in denen aber der gesamte übrige Unterricht konfessionslos ist; einige von 
den Herren schwärmen allgemein für die Simultanschulen; einige aber von 
den Herren sind fürchterlich empört, wenn man ihnen eine Gegnerschaft 
gegen die konfessionelle Schule oder gegen das Christentum zumutet, sie 
wollen konfessionelle Schulen, aber es soll möglichst wenige konfessionelle 
Schulen geben, und sie sollen möglichst wenig konfessionell eingerichtet sein 
— also ungefähr das berühmte Messer ohne Heft und Klinge. Ich wäre 
den Herren dankbar, die gegen die konfessionellen Einrichtungen unseres 
Volksschulwesens sind, wenn sie mit klipp und klar übereinstimmenden 
Worten uns sagen wollten: wie soll die Schule gemacht werden, wie kann 
sie gemacht werden auf grund der bestehenden Verfassungsbestimmungen?! 
oder inwieweit wollen wir die Verfassung erst ändern, um freie Bahn für 
die freie, einheitliche Ausgestaltung unseres Schulwesens zu schaffen? 
Wenn die Herren die Freundlichkeit haben, darauf einzugehen, so 
möchte ich eine Frage noch an Sie stellen und möchte auch bitten, daß Sie 
diese Frage beantworten: Sind die Herren der Meinung, daß die Religion 
daß das Christentum, wie ich konkret sagen muß, ein Gift ist, welches eben 
nur in möglichst kleinen, möglichst verdünnten Quantitäten den Kindern 
eingegeben werden darf! — Sind die Herren der Meinung, daß das 
Christentum blos eine Summe von Kenntnissen aus dem Katechismus, der 
biblischen Geschichte und dem Gesangbuch ist, die man dem Gehirn eines 
Kindes einpfercht? Und sind die Herren endlich der Meinung, daß gerade 
der Religionsunterricht der Unterricht ist, der von dem sachverständigsten 
Manne nicht erteilt werden darf, nicht von einem Diener der Religion, der 
ja der Sachverständigste ist, sondern möglichst von einem Manne, der ganz 
frei in religiösen Beziehungen denkt? 
Meine Herren, diese Frage bitte ich mir bestimmt zu beantworten; 
dann werden wir jawohl leichter in der Lage sein, einmal die prinzipiellen 
Gegensätze zu übersehen, die uns thatsächlich scheiden. Es gibt merkwür- 
digerweise Leute, die diese prinzipiellen Gegensätze noch gar nicht begreifen, 
die glauben, daß man darüber hinweggehen, sie zukleistern und zudecken 
könne. Aber, meine Herren, das ist nicht möglich. Es sind prinzipielle 
Gegensätze vorhanden, die müssen gegeneinander gestellt werden, und wenn 
die jetzt nicht einander gegenübertreten, dann werden sie in einer späteren 
Zeit in viel schlimmerer Weise einander entgegentreten. 
Meine politischen Freunde sind der Meinung, daß das Christentum 
kein Gift ist, sondern daß das Christentum das Lebensmittel der Seele ist, 
mit welchem das Kind in der reichsten Weise für den schweren Weg durchs 
Leben und zur Erlangung der ewigen Seligkeit ausgerüstet werden muß: 
meine politischen Freunde sind der Meinung, daß das Christentum nicht 
blos eine Summe positiver Kenntnisse ist, die man dem Gehirn der Kinder 
zuführt, sondern daß das Christentum das Herz des Kindes durchdringen 
muß, in aller und jeder Weise, und daß deshalb überall, wo der Unterricht 
Gelegenheit dazu bietet, auf dieses Christentum und die ewige Bestimmung
	        
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