Vas Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jannar 28.) 29
Vortrag halten soll, der beiden Religionsteilen gerecht werden soll, dann
wird das eine Kind nicht evangelisch und das andere Kind nicht katho—
lisch erzogen.
Ich glaube, der Grundfehler in der Auffassung der Gegner der kon-
fessionellen Schule besteht darin, daß sie sich einbilden: wenn ein Kind
katholisch erzogen wird, werde es damit antievangelisch erzogen, und wenn
ein Kind evangelisch erzogen wird, werde es damit antikatholisch erzogen.
Aber, meine Herren, die konfessionellen Unterscheidungslehren sollen in der
Volksschule dem Kinde nicht näher geführt werden; das ist ja nicht erforder-
lich. Das eine Kind soll eben lediglich wissen: was ist katholisch! es wird
voll und ganz katholisch erzogen; und das andere Kind soll wissen: ich
werde evangelisch — und es wird voll und gauz evangelisch erzogen. Daraus
entstehen noch keine konfessionellen Schwierigkeiten. Denn sonst, meine Herren,
wüßte ich wahrhaftig nicht, wie wir Katholiken und Protestanten in diesem
Hause doch in einer größeren Anzahl von Fällen gemeinschaftlich wirken
könnten und wie wir überhaupt in unserem Vaterlande mit einander aus-
kommen sollten.
Ich freue mich, daß Herr Kollege Richter in seiner Rede sich selbst
als Beweis für meine Darlegung gegeben hat. Er hat selbst darauf hin-
gewiesen, daß er zumeist in katholischen Schulen in den Rheinlanden auf-
erzogen worden sei; er habe dort niemals von konfessionellen Schwierigkeiten
etwas gehört, er sei harmlos aufgewachsen. Ja eben in der Schule sollen
die konfessionellen Schwierigkeiten nicht erörtert werden. Meine Herren, ich
war auch in einer katholischen Volksschule in Oberschlesien, ich war auf einem
katholischen Gymnasium in Niederschlesien, in beiden Schulen habe ich aber von
konfessionellen Schwierigkeiten nichts gehört, dort habe ich nicht ein Atom von
Haß gegen einen Evangelischen eingesogen. Aber wie ich auf die nicht-
konfessionelle Universität kam, da habe ich allerdings überhaupt erst wahr-
genommen, was konfessioneller Haß und was Intoleranz ist. Das habe ich
auf den konfessionellen Anstalten nicht gekannt. Bei aller Hochachtung vor
hochverdienten Männern der Wissenschaft, denen ich zu großem Danke ver-
pflichtet bin, muß ich sagen, daß ich unter dem Schein der Wissenschaft wahre
Karrikaturen der Kirche von den Universitätskathedern habe darstellen hören,
und ich bin erstaunt gewesen, wie Lehrer so etwas den Schülern bieten
konnten. Also, meine Herren, die Gefahr mit der konfessionellen Schule
scheint mir nicht so schlimm zu sein. Ich glaube auch in der That nicht,
daß die königliche Staatsregierung auf Grund ihrer Akten beauskunften
kann, daß die konfessionellen Schulen zu konfessionellen Schwierigkeiten ge-
führt haben. Ich glaube vielmehr, daß gerade die konfessionellen Unter-
schiede bei diesen Simultanschulen, wo alles durcheinander geht, den Kindern
viel leichter vors Gemüt geführt werden und daß jedenfalls durch die Simul-
tanschule eine ordentliche religiöse Ausbildung der Kinder nicht stattfinden
kann. Die Kinder müssen auch konfessionell erst das Einmaleins lernen, ehe
sie weiter herauskommen in andere Geschichten. Das Kind muß in der Volks-
schule erst die Geschichte des Reformationszeitalters von seinem Standpunkte
aus hören und lernen; wenn dann der junge Mann, der es schon versteht,
an die Universität hinauskommt, dann kann er sich das auch von anderen
Standpunkten aus vortragen lassen und anhören, ohne an seinem konfessio-
nellen Standpunkte Schaden zu nehmen. Wenn das Kind das religiöse
Einmaleins lernen soll, dadurch, daß Sie das Einmaleins möglichst von ihm
fern halten, dann möchte ich sehen, was Sie für Erziehungsresultate erreichen.
Meine Herren, was nun speziell den Religionsunterricht anlangt, so
ist das gerade ein Punkt, auf dem meine politischen Freunde nach den An-
forderungen, welche von unserem katholischen Standpunkt aus zu stellen