Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

30 Has Beeusche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 28.) 
sind, mit der Vorlage nicht recht übereinstimmen. Es ist das vor allem die 
Frage, welche man die Frage der missio canonica zu nennen pflegt, der 
missio, die wir an sich bei jeder Bestellung zu einem Amte verlangen, und 
von der wir verlangen, daß sie andauernd dem Lehrer beiwohnt, so lange 
er Religionsunterricht erteilt. Meine Herren, nach dieser Richtung hin hat 
Herr Kollege Richter eine sehr dankenswerte Ausführung gemacht; er hat 
gesagt, der Religionsunterricht sei ein Teil der Religionsübung und des- 
halb mit dieser frei; jede Religionsgemeinschaft solle ihn im Anschluß an 
die Schule erteilen. Also der Kollege Richter steht prinzipiell auf unserem 
Boden; er sagt: weil das ein Teil der Religionsübung ist, darum ist das 
nicht Sache des Staates, sondern der Religionsgemeinschaft. Ich kann ihm 
darin beipflichten; ich hätte allerdings gewünscht, daß seine politischen 
Freunde schon im vorigen Jahre dem Abgeordneten Dr. Windthorst die 
Freude gemacht hätten, denfselben Standpunkt einzunehmen. Herr Dr. Windt- 
horst hat damals in der Schulkommission verlangt, daß dem Geistlichen frei 
stehen soll, auf Anzeige an die Schulaussichtsbehörde selbst den Religions- 
unterricht zu übernehmen und in der Sitzung, in welcher die zwei Herren 
von der freisinnigen Partei anwesend waren, sind lediglich die 5 Stimmen 
Windthorst und Genossen für den Antrag abgegeben worden, die beiden 
freisinnigen Herren haben dagegen gestimmt. Wenn der Meinung des Herrn 
Kollegen Richter jetzt seine politischen Freunde sich anschließen wollen, so 
wird das ja außerordentlich dankenswert in unseren Reihen empfunden 
werden; aber die Bitte, die Herr Richter neulich an die konservative Seite 
richtete, doch Mitglieder in die Kommission zu schicken, die etwas andere 
Ansichten hätten wie die im vorigen Jahre — diese gleiche Bitte glaube 
ich nach dem, was ich heute über einige Meinungswechsel auf linker Seite 
gesagt habe, auch in bezug auf die Freunde des Herrn Richter aussprechen 
zu können. 
Es wäre in Bezug auf die Verfassungsfrage und den Religionsunter- 
richt wünschenswert, daß Leute in die Kommission kämen, die den diesjäh- 
rigen Standpunkt des Abgeordneten Richter teilen. 
Wenn nun aber Herr Richter auf dem Standpunkt steht, daß er 
sagt, der Religionsunterricht ist ein Teil der Religionsübung, dann verstehe 
ich offen gestanden nicht, wie Herr Richter sich gegen die missio canonica 
sträuben kann. Ich verstehe ja, er will mit uns zunächst erkämpfen, daß 
der Geistliche den Religionsunterricht giebt; aber wenn der Staat das nicht 
will, oder das nicht durchführbar ist, wenn also ein staatlich angestellter 
Lehrer den Religionsunterricht erteilen muß, dann kann der staatlich ange- 
stellte Lehrer den Religionsunterricht doch blos so lange erteilen, wie die 
Kirche anerkennt, daß der Religionsunterricht wirklich der Religionsunter- 
vicht der evangelischen oder der katholischen Kirche ist. 
Wenn die Erteilung des Religionsunterrichts eine Ausübung der 
Religion selber ist, dann muß eben der Lehrer in voller Uebereinstimmung 
stehen mit der Religion, für welche er den Unterricht erteilt, sonst kommen 
Sie zu wunderbaren Konsequenzen. Herr Enneccerus sagt, für „die Rein- 
heit der Lehre“ kann man bei einem solchen Lehrer freilich nicht garantieren, 
das schadet ja auch gar nichts; ja, meine Herren, da kommen Sie dazu, 
daß der Lehrer, wenn er diese „Reinheit der Lehre" nicht hat, doch nach 
wie vor, wenn die Kirche ihre missio canonica ihm entzogen hat, Religions- 
unterricht weiter erteilt, und daß der katholische Vater gezwungen ist, kraft 
des Schulzwanges seine Kinder auch in diesen Religionsunterricht zu schicken, 
von dem seine Kirche erklärt, das ist kein katholischer Religionsunterricht. 
Meine Herren, das ist die einfache Konsequenz. Wenn Sie die Erteilung 
des Religionsunterrichts durch einen staatlich angestellten Lehrer zulassen,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.