Das Dentsche Reit und seine einzelnen Glieder. (Januar 28.) 37
Herren, ich glaube, daß, wenn man ein neues Unterrichtsgesetz vorlegt,
niemand erwarten kann, daß wir unsere Zustimmung geben sollen, daß
diese Verwaltungsverordnungen einfach abgeschrieben werden, und daß genau
nach der Richtung hin nur diejenigen Verwaltungsverordnungen abgeschrieben
werden, die derjenigen Meinung entsprechen, die augenblicklich von seiten
des Herrn Kultusministers getragen wird. Meine Herren, zu welchen Zu—
ständen eine derartige Praxis führen kann, wie der Herr Kultusminister sie
ausspricht, daß die Verwaltungsverordnungen bestehendes Recht sein müßten
und sind, und daß sie die Grundlage des Volksschulgesetzentwurfs geben
müßten — zu welchen Zuständen das führen kann, meine Herren, das zeigt
die neueste Verordnung, die der Herr Kultusminister in Bezug auf die
Dissidentenfrage geschaffen hat. Der Herr Kultusminister antizipiert in
dieser Verfügung eine Bestimmung seines Entwurfs, des § 17 Abschnitt IV,
in der vollkommensten Weise. Was in dem § 171IV steht und erst Recht
werden soll, hat er durch seine Verfügung erlassen; er hat die Regierungs-
präsidenten ermächtigt, unter Umständen Kinder von Dissidenten gegen den
Willen der Eltern und Vormünder zwangsweise anzuhalten, an dem Reli-
gionsunterricht — wohl gemerkt, dem konfessionellen Religionsunterricht —
teilzunehmen. Meine Herren, das ist ein Gewissenszwang, wie er bei uns
bisher im preußischen Staatswesen seit der friederizianischen Zeit noch nicht
üblich gewesen ist. Der Herr Kultusminister beruft sich dabei auf seinen
früheren Vorgänger v. Bethmann-Hollweg. Aber selbst wenn dieser eine
derartige Verordnung erlassen haben sollte — ich will mich über den Streit
der Meinungen darüber gar nicht auslassen — so ist kein Mensch ver-
pflichtet, sich daran zu halten, selbst die Regierungspräsidenten nicht; auf
dem Rechtswege kann sie in ihrer Gültigkeit angefochten werden, und das
Gericht würde wahrscheinlich diese Verordnung wieder umwerfen. Der Herr
Kultusminister glaubt aber, durch diese Verwaltungsverfügungen jetzt Recht
geschaffen zu haben, er setzt das nachher einfach in seinen Entwurf und
kommt dann zu uns, wie er das schon bei mehreren Gelegenheiten gethan
hat, daß er glaubt, Verwaltungsrecht sei bestehendes Recht, — er kommt
zu uns mit dem § 171V, und wenn wir den angreifen, sagt er: Ich weiß
nicht, was Ihr wollt, das ist ja schon geltendes Recht durch die Ver-
fügung von dem und dem Tage, die ich, der Herr Kultusminister, er-
lassen habe.
Ich halte nun diese ganze Verordnung, diese Bestimmung in § 17 IV
des uns vorliegenden Gesetzes für den wesentlichsten Punkt dieses ganzen
Entwurfs, soweit er den Geist zeigt, der im Kultusministerium herrscht; er
zeigt auch den Geist, der in den Parteien herrscht, die diesen Gesetzentwurf
unterstützen. Meine Herren, ich behaupte, daß der Inhalt dieser Verord-
nungen unprotestantisch ist. In der Schrift heißt es: „Suchet in der
Schrift“. Die protestantische Kirche lehrt das Recht des eigenen Urteils,
und das will besagen, daß es auf Erden keine sichtbare Körperschaft gibt,
veri Entscheidung die Menschen in Glaubenssachen ihr Urteil unterwerfen
mußten.
Es ist auch sehr charakteristisch, wie der Herr Kultusminister diesen
seinen Entwurf verteidigt; er sagt: „Steht die Frage so: sollen wir diese
Kinder aufwachsen lassen ohne jedes Wort einer tieferen Erkenntnis, ohne
jedes Wort ethischer und moral-theologischer Natur, von dem Sie doch auch
zugeben müssen, daß es in den Konfessionen am besten zum Ausdruck
kommt? Meine Herren, in dieser Auffassung liegt die Grundverschiedenheit
unserer ganzen Stellung zu dieser Frage. (Sehr gutl! rechts.) Wir, die
wir diese Bestimmung haben wollen, ich wenigstens, ich möchte auch nicht
im geringsten damit einen Zwang ausüben; ich will nur eine Wohlthat,