Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 14.) 107
von meinem Standpunkte aus: sie ist nach meinem Dafürhalten nicht Reichs-
sache. Die ganze Landwirtschaft ist nur dann Reichssache, wenn sie in Kon-
kurrenz mit anderen Gegenständen Gegenstand der Gesetzgebung wird. Eine
selbständige Sorge für die Landwirtschaft durch das Reich kennt die Reichs-
verfassung nicht; also prinzipaliter würde ich der Meinung sein, daß darin
eine Aufgabe der Einzelstaaten liegt. Und ich für mein Teil würde einen
Vorwurf, daß eine solche Enquete noch nicht vorhanden sei, nicht acceptieren
können. Ich halte mich nicht für berechtigt, als Reichskanzler eine solche
Enquete zu veranlassen.
Nun, da ich einmal das Wort noch ergriffen habe, und da mir die
Gründe, die die Herren Antragsteller geboten haben, keinen Anlaß geben,
auf diese Dinge einzugehen, möchte ich mit ein paar Worten noch darüber
sprechen, wie denn die verbündeten Regierungen zu dem Antrage stehen.
Da muß ich naturgemäß bekennen, daß ich das nicht weiß; denn die ver-
bündeten Regierungen sind noch nicht in der Lage gewesen, sich über den
Antrag schlüssig zu machen. Aber, ich glaube doch, so viel mit einiger
Sicherheit sagen zu können, daß vom Standpunkt des Reichs, ganz abgesehen
von allen Details, die Annahme des Antrags Kanitz in jeder Beziehung
unerwünscht wäre. Sie würde uns nötigen, von den Bahnen, welche die
Politik des Reiches bisher beschritten hat, abzuweichen (Sehr gut! links),
und zwar nicht bloß von den Bahnen, die man als neuen Kurs bezeichnet,
sondern auch von den älteren schon. Ob dieser Antrag mit den Handels-
verträgen vereinbar ist oder nicht, darüber will ich nicht urteilen. Wenn
man juristische Gutachten einforderte, so würde vielleicht ein Teil so, ein
anderer Teil so ausfallen, aber das muß ich doch auch aussprechen, daß
wir, wenn wir den Antrag annehmen, wozu ja von Haus aus nicht die
mindeste Aussicht war, bei den Regierungen, mit denen wir kontrahiert
haben, in den Ruf einer mala fides kommen und zwar in hohem Grade.
(Sehr gut! links.) Ein vielgelesenes konservatives Blatt hat sich längere
Zeit darin gefallen, die Refaktien, die Eisenbahnausnahmetarife, die andere
Mächte verwenden könnten, ins Gefecht gegen den Handelsvertrag zu führen.
Ja, ich glaube, ein unparteiischer Beobachter würde der Meinung sein,
daß, wenn wir trotz der Handelsverträge einen solchen Antrag annähmen,
wie der Graf Kanitz ihn uns vorgelegt hat, wir dann ungleich mehr mala
fides bewiesen, ungleich weniger zuverlässig handelten, als alles Das wäre,
was jene Zeitung an die Wand gemalt hat. Wir würden also in unserer
allgemeinen auswärtigen Politik das Vertrauen bei anderen Mächten zu
verlieren in Gefahr stehen, das zu erwerben und zu befestigen wir uns
bisher jahrelang bemüht haben. (Bravo! links und aus der Mitte.)
Wir haben nirgends, an keiner Stelle der deutschen Erde, uns etwas
vergeben und wir haben von Jahr zu Jahr an Vertrauen gewonnen. Wenn
aber dieser Antrag angenommen würde und die verbündeten Regierungen
darauf eingingen, so würde ich nicht geneigt und wahrscheinlich auch nicht
imstande sein, die deutsche Politik nach Außen zu vertreten, denn ich würde
alles Vertrauen verloren haben.
Wir haben ferner in unserer Wirtschaftspolitik das Bestreben gehabt,
Handel und Export nach dem Ausland auszudehnen. Auch mit dieser
Politik würden wir brechen müssen mit dem Tage, wo wir den auslän-
dischen Handel nach dem Rezept des Grafen Kanitz zuschneiden würden.
(Sehr richtig! links.)
Wir würden nicht mehr in der Lage sein, Vertrauen bei den aus-
ländischen Kaufleuten zu erlangen, wir würden auf Schwierigkeiten bei
jedem Schritt stoßen, und Mißtrauen da begegnen, wo wir Vertrauen
brauchen.