Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

108 Das Deutsche Reich und seine einelnen Glieder. (April 14.) 
Auch für die innere Politik des Reiches wäre mir dieser Antrag 
sehr bedenklich. Wenn man sich die Einzelheiten etwas mehr ausmalt, als 
sie in den Motiven angegeben sind, so steigen sofort eine Masse Schwierig- 
keiten auf, — sie sind auch von einigen der Herren Gegner des Antrages 
bereits angedeutet worden — Schwierigkeiten, die in das innere politische 
Leben Deutschlands erheblich eingreifen würden. Welche Eifersucht würde 
zwischen deutschen Staaten, Stämmen und Städten entstehen, ob sie Ver- 
kaufsstellen für Getreide werden sollen oder nicht! Was haben wir schon 
mit den Transitlägern für Schwierigkeiten. Ich würde die Besorgnis haben, 
daß auch einzelne deutsche Regierungen der Meinung wären, ein solches 
Getreidemonopol wäre ein Eingriff in ihre speziellen Rechte, die Verfassung 
gäbe uns für die Schaffung eines derartigen Reichsmonopols keinen Anhalt. 
Ich würde befürchten, daß erhebliche Schwierigkeiten, mindestens Friktionen 
in Deutschland entstünden, die der Reichseinheit und dem Reichsgedanken 
nicht förderlich wären. Und nun gar für den Reichskanzler! Welches Odium 
— ja, ich weiß, Sie schlagen das gering an; ich habe auch nichts dagegen 
— welches Odium würde der auf sich laden, wenn er Chef dieser großen 
Reichsgetreidehandlung wäre! 
Ich würde glauben, daß die Regierung an Vertrauen verlieren würde, 
wenn sie ein solches Odium auf sich laden müßte, und daß durch diesen 
Verlust an Vertrauen nicht der Reichskanzler — das wäre ja ganz gleich 
— aber das Reich geschädigt würde. 
Endlich haben Sie den Vorschlag gemacht, diese Vorlage zu benutzen, 
um unsere Steuerfragen auf eine andere Weise zu regeln. Ja, meine Herren, 
auch da würden wir ja vollkommen umkehren müssen. Wir haben bisher 
das Bestreben gehabt — wir sind angegriffen worden, weil wir es nicht 
genug gehabt hätten; aber wir haben es redlich und ernst gehabt, die Lasten 
auf die leistungsfähigeren Schultern zu legen, soweit es mit den Interessen 
des Ganzen vereinbar war. Auf welche Schultern würden wir denn hier 
die Lasten legen? Auf die der Brotesser! Einer Brotsteuer würden sich aber 
die ärmsten Klussen am allerwenigsten entziehen können (Sehr richtig! links 
und bei den Sozialdemokraten), weil der arme Mann der relativ am meisten 
Brot Konsumierende ist. (Sehr richtig! links und bei den Sozialdemokraten.) 
Also es wäre eine totale Umkehr in unserer Steuerpolitik, die Sie von uns 
verlangen! Also ich glaube nicht anmaßend zu sein gegenüber den ver- 
bündeten Regierungen, wenn ich sage, daß die nicht das mindeste Interesse 
an der Annahme des Antrages haben. 
Was meine Stellung persönlich zu dem Antrage angeht, so hat es 
mich mit Bedauern erfüllt, denn ich habe die Ueberzeugung, daß die Antrag- 
steller sich und ihre Sache dadurch schwer schädigen, wenn nicht gar ein 
Schaden, der noch weiter greift, verursacht werden wird. Ich habe mir vor 
Monaten schon erlaubt, die Herren vor gewissen Dingen zu warnen; ich 
habe Sie gebeten, nicht auf die Majorität sich zu basieren und die Autori- 
täten gering anzuschlagen. Es hat nicht geholfen, Sie sind in den An- 
griffen auf Autoritäten sehr hoch hinaufgegangen in Ihrer Presse, und 
schließlich haben Sie, fürchte ich, vielfach Ihre eigene Autorität in Ihren 
eigenen Kreisen so weit verloren, daß Sie nicht mehr schieben, sondern ge- 
schoben werden. Und ich als ein konservativer Mann beklage das, wenn 
die konservative Partei auf diese abschüssige Fläche gerät, und so schnell 
auf ihr heruntergleitet. 
Ich habe dann weiter mir die Bitte erlaubt, doch nicht trennend 
zwischen Die zu treten, die staatserhaltend sein können, sondern dahin zu 
wirken, daß sich die Staatserhaltenden den mannigfachen Gefahren gegen- 
über, die wir laufen, zusammenschließen. Ich habe Ihnen bei einem an- 
 
	        
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