Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April.) 111
Das Börsensteuergesetz wird in dritter Beratung gegen die Stimmen
der Sozialdemokraten, freis. Volkspartei und einem Teil der freis. Vrgg.
angenommen. Das Gesetz ist gegen die im Nov. v. J. eingebrachte Regie-
rungsvorlage vor allem dadurch verändert, daß die Check-, Quittungs- und
Frachtbriefsteuer beseitigt ist (vgl. 7. April).
Nach einer kurzen Besprechung der vom Abg. Förster (Antif.) ein-
gebrachten Interpellation, wie der durch die Zollgesetzgebung hervorgerufene
Ausfall in den Reichsfinanzen ohne Schädigung der Landwirtschaft gedeckt
werden solle, verliest Reichskanzler Graf Caprivi folgende Erklärung:
Die Erwartung der verbündeten Regierungen, der Reichstag werde bereit
sein, durch Zustimmung zu den vorgelegten Steuergesetzentwürfen die Mittel
zur Deckung der Kosten der Heeresverstärkung, sowie zur Durchführung einer
Finanzreform zu gewähren, welche die Matrikularbeiträge in ein festes Ver-
hältnis zu den Ueberweisungen an die Einzelstaaten bringt, haben leider
für die gegenwärtige Tagung aufgegeben werden müssen. Damit ist die
Möglichkeit ausgeschlossen, noch in dieser Session die zur Durchführung
der Finanzreform erforderlichen Mittel zu gewinnen. Die verbündeten
Regierungen halten indes mit aller Entschiedenheit an der Auffassung fest,
daß es im nationalen und finanzpolitischen Interesse auch der Bundesstaaten
geraten ist, zur Erhaltung eines geordneten Finanzwesens der letzteren eine
Sicherstellung der Finanzen des Reichs herbeizuführen. Die verbündeten
Regierungen werden deshalb nach dem Wiederzusammentritt des Reichstags
von neuem mit entsprechenden Vorschlägen in der Hoffnung hervortreten,
daß eine Verständigung über die Reform und die Beschaffung der hierzu
erforderlichen Mittel erzielt werden wird. Auf Grund der mir erteilten
Allerhöchsten Ermächtigung erkläre ich im Namen der verbündeten Regie-
rungen den Reichstag für geschlossen.
Mit einem Hoch auf den Kaiser schließt Präs. v. Levetzow die Sitzung.
April. Über die Reichstagssession schreibt die „Nordd.
Allg. Ztg.“:
Der Reichstag hat in dieser Session getagt vom 16. November 1893
bis zum 19. April 1894, zusammen 155 Tage. Während dieser Zeit haben
zusammen stattgefunden: 86 Plenarsitzungen, 218 Sitzungen der Abteilungen
und 196 Sitzungen der verschiedenen Kommissionen.
Seitens der verbündeten Regierungen sind folgende Vorlagen dem
Reichstage unterbreitet worden: 24 Gesetzentwürfe, einschließlich des Reichs-
haushaltsetats für das Etatsjahr 1894,95, eines Nachtragsetats für 1893/94,
eines Nachtrags für 1894/95, sowie des Haushaltsetats für die Schutzgebiete
auf das Etatsjahr 1894/95, 12 Verträge resp. Abkommen, 2 kaiserliche Ver-
ordnungen, 1 Mitteilung, betreffend die Veranlassung von Wahlen zur
Kommission für Arbeiterstatistik, 7 allgemeine Rechnungen über den Reichs-
haushalt für die Etatsjahre 1884/85 bis 1890/91, 1 Uebersicht der Reichs-
ausgaben und Einnahmen für das Etatsjahr 1892/93, 1 Uebersicht der
Einnahmen und Ausgaben der Schutzgebiete von Kamerun, Togo und des
südwestafrikanischen Schutzgebietes für das Etatsjahr 1892,93, 1 Rechnung
der Kasse der Oberrechnungskammer für das Etatsjahr 1890/91, 1 Bericht
der Reichsschuldenkommission, 17 Denkschriften, Berichte und Uebersichten etc.,
welche durch Kenntnisnahme erledigt sind.
Es haben die verfassungsmäßige Zustimmung seitens des Reichstags
erhalten: 17 Gesetzentwürfe, einschließlich des Reichshaushaltsetats, des Haus-
haltsetats für die Schutzgebiete und der beiden Nachtragsetats, 12 Verträge
resp. Abkommen, 2 kaiserliche Verordnungen. 1 Gesetzentwurf ist abgelehnt.
Die Rechnung der Kasse der Oberrechnungskammer und der Bericht der