2 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 5 - 6.)
5./6. Januar. Der Kaiser zur Jagd nach Bückeburg.
6. Januar. (Der Reichskanzler und die ostpreuß.
Konservativen.)
Der „Reichs-Anz.“ veröffentlicht einen Briefwechsel zwischen dem
Ausschuß des ostpreuß. kons. Vereins und dem Reichskanzler. Der ostpreuß.
kons. Verein hatte am 20. Dezember 1893 in einer Zuschrift an den Reichs-
kanzler erklärt, eine Hebung der östlichen Landwirtschaft und ein Ausgleich
für die durch die Handelsverträge verursachten Nachteile sei nur zu erreichen
durch Aufhebung des Identitätsnachweises und durch eine „internationale
Regelung der Währungsfrage, durch welche dem Silber das Recht als voll-
wertiges Münzmetall zu dienen, wiedergegeben werden soll.“ Graf Caprivi
betont in seiner Erwiderung (5. Jan.), er verkenne die schwierige Lage der
Landwirtschaft nicht, befürchte aber von den Handelsverträgen keine üblen
Folgen für sie und fährt dann fort: „In der Ueberzeugung, daß die von
Seiner Majestät dem Kaiser und König im Verein mit Seinen hohen Ver-
bündeten befolgte Handelspolitik der Gesamtheit und den wirtschaftlichen
Interessen förderlich ist und daß der Abschluß eines Handelsvertrages mit
Rußland auf der Grundlage des Austausches gleichwertiger Zugeständnisse
der deutschen Landwirtschaft keine neuen Opfer auferlegt, erkenne ich es
gern an, daß die Resolution vom 20. v. M. vermeidet, einem deutsch-rus-
sischen Handelsvertrage gegenüber eine prinzipiell ablehnende Stellungnahme
zum Ausdruck zu bringen. Ich bin damit einverstanden, daß die Auf-
hebung des Identitätsnachweises in den Vordergrund gestellt und damit
der Boden betreten wird, auf welchem ein Ausgleich widerstrebender In-
teressen erreichbar ist. Auch nach meiner Anschauung ist für den Fall eines
Zustandekommens eines Handelsvertrags mit Rußland die Aufhebung des
Identitätsnachweises für die östlichen Provinzen Preußens nützlich, ohne
die Interessen der Gesamtheit oder anderer deutscher Landesteile zu beein-
trächtigen. Eine Vorlage an den Bundesrat, welche bestrebt sein wird,
frühere Bedenken gegen ein solches Gesetz zu beseitigen, ist in Vorbereitung
und wird so gefördert werden, daß sie eintretendenfalls gleichzeitig mit
jenem Handelsvertrag den gesetzgebenden Faktoren vorgelegt werden kann.
Was die gleichfalls von dem Ausschuß erwähnte Währungsfrage angeht, so
verkenne ich nicht, daß die jüngsten Vorgänge in Indien und den Vereinigten
Staaten derselben eine erhöhte Bedeutung beilegen. Aber ich muß an der
Ueberzeugung festhalten, daß die zur Wiederstellung des Silberpreises bisher
vorgeschlagenen Wege als gangbar nicht erwiesen sind, und ich bin nicht
ohne thatsächlichen Anhalt für die Auffassung, daß ein erneuter Versuch,
gemeinsame Beratungen mit fremden Regierungen herbeizuführen, zur Zeit
erfolglos bleiben würde. Andererseits verschließe ich mich der Erkenntnis
nicht, daß bei der vorhandenen Teilnahme für diese Frage die Gefahr vor-
liegt, einen so schwierigen und in alle wirtschaftlichen Interessen eingreifen-
den Gegenstand der Prüfung sachverständiger Männer entzogen und in den
Kampf breiter Schichten der Bevölkerung geworfen zu sehen. Ich bin des-
halb geneigt im Anschluß an die bereits im Gange befindliche amtliche
Prüfung auch noch Sachverständige verschiedener Berufsklassen und Lehr-
meinungen über die Frage zu hören, welche Maßregeln geeignet wären,
um den gesunkenen Wert des Silbers wieder zu heben. Das erforderliche
hierzu ist in die Wege geleitet."
In den sich hieran anknüpfenden Erörterungen erklären die „Kreuzztg.",
einige ostpreuß. kons. Blätter sowie der Abg. Graf Mirbach, die ostpreuß.
Konservativen lehnten trotz dem Entgegenkommen des Kanzlers den russi-
schen Handelsvertrag ab, so lange ihnen nicht zuverlässige Garantien über