Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept. 23.) 155
ohne den Adel und die Geistlichkeit mit der Masse der polnischen Bevöl-
kerung vollständig in Frieden leben. Sie würde für die Wohlthaten eines
geordneten, gesetzmäßig lebenden Staates, für die Möglichkeit, auch gegen-
über den stärksten Magnaten Recht zu finden, dankbar sein. Das sehen
sie und verlangen nicht mehr. Sie sind auch nicht offensiv gegen das
Deutschtum, das ist nur der Adel.
Und das Deutschtum hat sich bisher gegen diese Angriffe immer
defensiv verhalten. Wir sind immer defensiv gegenüber den Polen gewesen,
und wenn wir einmal einen Vorstoß gemacht haben wie mit dem Ankaufs-
gesetz, so haben wir sofort in unseren Reihen Leute gehabt, die ein schlechtes
Gewissen hatten. Ob dies Gesetz den Polen ein Aergernis ist, darauf kommt
es gar nicht an. Dieses Ankaufsgesetz ist ein Bestreben gewesen, mit un-
serm unversöhnlichen Gegner dort in einer freundlichen Weise aufzuräumen
(Große Heiterkeit). Es liegt nicht in unserer Sitte, zu konfiszieren oder
zu verjagen oder ein Gesetz zu geben, wonach jeder polnische Edelmann
in bestimmter Zeit verkaufen muß, sondern wir geben ihnen den Preis
ihres Gutes.
Wir sind, wie ich glaube, etwas zu eilig in dieser Sache vorge-
gangen. Daß der Fonds bewilligt wurde vom Landtage, war ja sehr er-
freulich, aber man hatte zu viel Eile, ihn zu verwenden, man wollte sofort
am Donnerstag schon die Früchte von dem sehen, was am Montag gesät
worden. Man hätte sich Zeit lassen sollen. Mit der Zeit, auf dem Wege
der Rentengüter fand es sich ja wohl, da konnte man allmählich eine
deutschtreue Bevölkerung, wenn nicht eine deutsche, in Ruhe herstellen. Aber
ich glaube, man mußte zuerst das Hauptobjekt ankaufen und dann den
angekauften Besitz des Adels in Händen behalten und sich dann Zeit lassen,
ihn nach Umständen zu benutzen. Aber Ueberhastung ist ja immer ein
Unglück.
Nun, meine Herren, ich habe vorher das Phantasiegebilde eines pol-
nischen Staates, wie er, glaube ich, nie entstehen wird, aber ein Phantasie-
gebilde, mit dem doch manche unserer Landsleute als Möglichkeit rechnen,
ausgemalt. Wenn das der Fall wäre, so würden gerade Sie in West-
preußen das Hauptobjekt der Versuchungen für polnische Begehrlichkeit sein.
Danzig ist für einen polnischen Staat mit Warschau doch ein dringenderes
Bedürfnis als Posen; Posen, werden sie denken, läuft ihnen nicht weg,
denn da ist ein Erzbischof (Große schallende Heiterkeit), Danzig würde die
erste Stadt sein, die ein Warschauer Staat an der Seeküste überhaupt haben
müßte. Sie würden nicht eher Ruhe haben. Der Thatsache, daß West-
preußen nie ursprünglich zu Polen gehört hat, während Posen dazu gehört
hat, steht also das größere Bedürfnis eines polnischen Reiches nach Danzig
gegenüber, und Sie würden, wenn wir jemals Schiffbruch mit den bis-
herigen europäischen Zuständen litten, mit Danzig weit gefährdeter sein
als mit Posen, obwohl der Anspruch ein minderer ist. Posen ist polnischer
Besitz gewesen, Westpreußen ursprünglich nicht. Auf dem rechten Ufer der
Weichsel wohnten die Preußen, gegen die Herzog Konrad von Masovien
den deutschen Orden zu Hilfe rief, weil er sich ihrer nicht selbst erwehren
konnte. Und der deutsche Orden hat das Land auf dem rechten Ufer der
Weichsel den heidnischen Preußen abgenommen und zivilisiert und hat einen
Ordensstaat gegründet, der im 14. Jahrhundert von der Neumark bis nach
Esthland reichte und eines der mächtigsten und vor allen Dingen eines der
blühendsten und zivilisiertesten Reiche des damaligen Europa war. Ich
brauche Ihnen die Geschichte Ihres Landes nicht zu erzählen, sie ist Ihnen
nicht fremd. Auch auf dem linken Weichselufer war kein polnischer Besitz,
Pommern reichte bis an die Weichsel; das, was man jetzt Pommerellen