Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11.)   5 
steuer, die Petroleum- und Getreidezölle abschaffen, so bedeutete das einen 
Ausfall von 269¾ Millionen Mark, und zwar um im vorliegenden Fall 
45 Millionen Mark aufzubringen. Sollte nun dieser Ausfall im Wege 
der Matrikularbeiträge aufgebracht werden, so würden auf Preußen 
163½ Millionen Mark mehr Matrikularbeiträge entfallen. Preußen könnte 
nun diese Summe durch Erhöhung seiner Einkommensteuer aufbringen, und 
zwar würde diese Erhöhung 133 pCt. betragen. Würde man dagegen der 
anderen Richtung folgen, die da wünscht, daß die wohlhabenderen Klassen 
in erhöhtem Maße wie bisher zu den Bedürfnissen des Reiches beitragen 
sollten, so würde die Einkommensteuer in Preußen 300 pCt. betragen, für 
die Zensiten über 8000 M. sich also vervierfachen. Solche Wege kann man 
unzweifelhaft nicht gehen, die Tabaksindustrie würde dadurch nicht um einen 
Deut gebessert. — Es wird uns ferner vorgeworfen, wir zögen in den 
Motiven des Entwurfs ganz falsche Vergleiche. Ein Vergleich Deutschlands 
mit Frankreich, Oesterreich-Ungarn und England sei unzulässig, weil die 
letzteren Länder bei weitem mehr verschuldet seien. Diese Behauptung ist 
ein thatsächlicher Irrtum. Der Einwand würde zutreffend sein, wenn 
Deutschland ein Einheitsstaat wäre, wie jene Länder. Zu den Reichsschulden 
müssen aber noch die Schulden der Einzelstaaten hinzugerechnet werden, und 
dann hat Deutschland 11 3/4 Milliarden Schulden, also nicht viel weniger 
wie England und mehr als Italien, wo der Tabak mit 5,6 M., mehr wie 
Oesterreich, wo er mit 5,19 M. besteuert ist, während er bei uns bis jetzt 
nur mit 1,10 M. und in Zukunft mit 2 M. pro Kopf besteuert ist. Nach 
einer vielleicht nicht absolut, aber wohl vergleichsweise richtigen Zusammen- 
stellung über das Vermögen der einzelnen Nationen beträgt das Vermögen 
pro Kopf durchschnittlich in England 5002 M in Frankreich 4256 M. in 
Deutschland 2825 M. in Italien 2025 M. in Oesterreich 2005 M. Legt 
man nun an diesen Stand des Nationalvermögens den Betrag, mit dem 
diese Staaten durch Zölle und Verbrauchsabgaben, durch die indirekte Be- 
steuerung belastet sind, so ergibt sich, daß das italienische Nationalvermögen 
mit 0,75, das französische mit 0,73, das englische mit 0,54 und das deutsche 
nur mit 0,52 pCt. belastet sind. Diese Zahlen lassen erkennen, daß die 
Behauptung, daß wir, obgleich wir weniger Schulden hätten wie andere 
Staaten, uns doch steuerlich, so geberdeten, als wenn wir eben so große 
Schulden hätten, unrichtig ist. Wir erheben den geringsten Prozentsatz an 
indirekten Abgaben, während wir mit unserer Schuldenlast an dritter Stelle 
stehen. Rechnet man zu den Abgaben an Zöllen und Verbrauchssteuern 
des Reiches die der Einzelstaaten hinzu, so ergibt das in Deutschland auf 
den Kopf der Bevölkerung 14,64 M., womit also Deutschland ebenfalls an 
letzter Stelle in der Reihe der fünf Großstaaten steht. Es ist daher in 
unseren Motiven mit Recht betont worden, daß der Tabak bisher unver- 
hältnismäßig gering zu den Staatslasten herangezogen ist. Es ist in der 
Presse darauf hingewiesen worden, daß seit 1879 sich die indirekte Be- 
lastung Deutschlands mit Zöllen und Verbrauchsabgaben um 400 Mil- 
lionen Mark erhöht habe, und man deshalb gegen jede weitere indirekte 
Belastung Front machen müsse. Zunächst sind es nicht 400, sondern 367 Mil- 
lionen, oder auf den Kopf der Bevölkerung 7,34 M. Es wird nun so dar- 
gestellt, als ob diese erhöhten indirekten Lasten einzig die ärmere Bevölke- 
rung, die sogenannten arbeitenden Klassen treffen. Ich muß das für eine 
starke Uebertreibung halten. Zunächst werden durch diese Erhöhung diejenigen 
nicht getroffen, die in fremdem Brot und Lohn stehen, das ist eine Zahl 
von 3½ Millionen; ferner diejenigen nicht, welche als landwirtschaftliche 
Arbeiter in Deputaten abgelohnt werden, im Gegenteil, je höher die Ge- 
treidepreise, desto höher stellt sich ihr Lohn; ferner werden die Arbeiter
	        
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