Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Oktober 5.—11.) 163
Linie aus den Staatsministern und Chefs der Verwaltungsdepartements,
in zweiter Linie aus den übrigen ordentlichen Mitgliedern des Geheimen
Rates zu entnehmen. Der Staatsminister oder Departementschef des Kirchen-
und Schulwesens ist, wenn er der evangelischen Landeskirche angehört, jeden-
falls Mitglied des Evangelischen Kirchenregimentes. Das Kirchenregiment
übt seine Befugnisse ohne Anbringen an den König aus.
5.—12. Oktober. Der Kaiser in Hubertusstock, wo er den
Reichskanzler Graf Caprivi (am 5.) und den Ministerpräfidenten
Graf Eulenburg (am 9.) empfängt.
6. Oktober. (Metz.) Abg. Haas.
Der Reichstagsabg. Dr. Haas wird aus seiner Stellung als Prü-
fungskommissar und Lehrer an der Hebammenschule entlassen, was in der
Presse mit großer Befriedigung bemerkt wird. (Vgl. S. 130.)
7. Oktober. (Eisenach.) Parteitag der Antisemiten. Deutsch-
soziale Reformpartei.
Nach stürmischen Verhandlungen wird beschlossen, daß die verschie-
denen Gruppen sich zur „Deutsch-sozialen Reformpartei“ zusammen-
schließen sollen, zu der Abg. Ahlwardt als Hospitant zugelassen werden soll.
8. Oktober. Deutschland und Portugal.
Die „Münch. Neuesten Nachr.“ hatten der Reichsregierung vorge-
worfen, die Ansprüche der geschädigten Gläubiger Portugals nicht ener-
gisch genug vertreten zu haben, worauf die „Nordd. Allg. Z." antwortet,
die Reichsregierung habe so viel erreicht wie Frankreich.
11. Oktober. (Mecklenburg.) Der Landwirtschaftsrat be-
schließt, der Gesetzgebung die Vermehrung des ländlichen Klein-
besitzes und die Ansiedlung grundbesitzender Arbeiter zu empfehlen.
Oktober. (Umsturzfrage.) Thorner Rede und Presse. Kon-
stantin Rößler. Gegensatz in der Regierung (Caprivi—Eulenburg).
In der Thorner Rede sieht die mittelparteiliche Presse einen neuen
Beweis für die Absicht des Kaisers, den Kampf gegen Sozialisten und
Anarchisten mit Hilfe der Gesetzgebung zu führen und setzt die Diskussion
über dies Thema eifrig fort. Viel besprochen wird eine Broschüre des
Geh. Leg.-Rats a. D. Konstantin Rößler (Berlin, H. Walther), der
nach einer ziemlich optimistischen Uebersicht über die Geschichte und Ziele
der Sozialdemokratie eine Diktatur des Bundesrats für einige Jahre em-
pfiehlt, um während dieser Zeit durch eine verständige sozialpolitische Gesetz-
gebung der inneren Entwickelung ruhige Bahnen anzuweisen. Die meisten
Blätter, auch die, welche Ausnahmegesetze gegen die Sozialdemokraten ver-
treten, wollen von dem Vorschlage nichts wissen, nur wenige, z. B. die
Münch. „Allg. Ztg.“ will ihn nicht von vornherein abweisen. (Vgl. Preuß.
Jahrbb. Bd. 78.)
Was die Regierung betrifft, so wird Anf. Oktober allgemein an-
genommen, daß der Reichskanzler¡ keine Neigung hat, im Reichstage eine
Aktion gegen den Umsturz zu beginnen, aber nichts gegen ein Vorgehen
der Landesgesetzgebung einwenden wird. Doch setzt die „Nordd. Allg. Ztg.“
wiederholt auseinander, daß Graf Caprivi nicht unbedingt gegen jedes Vor-
gehen der Reichsregierung ist. Es wird besonders ein Gegensatz behauptet
zwischen Graf Caprivi und Graf Eulenburg, dem Befürworter ent-
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