8 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11.)
Fabrikatsteuer mit dem Sozialismus in Verbindung und imputiert uns:
da Eigentum Diebstahl ist, so konfiszieren wir Euer Eigentum. Es ist
charakteristisch, daß nur ein süddeutscher Tabaksindustrieller den Mut ge-
habt, eine solche Agitation öffentlich zu brandmarken, und dafür bin ich
ihm aufrichtig dankbar. Ich bedauere, daß die Industrie eine absolut ab-
lehnende, intransigente Haltung gegenüber dem ganzen Entwurf eingenom-
men hat. Wie leicht hätte sich eine Verständigung erzielen lassen! Die Ab-
teilung III des Deutschen Tabaksvereins in Frankfurt a. M. hat „einstim-
mig“ eine weitere Belastung des Tabaks für undurchführbar erklärt, und
eine Versammlung in Hamburg hat natürlich auch „einstimmig“ beschlossen,
es sei durchaus notwendig, daß der Tabak für immer von jeder weiteren
Belastung frei bleibe. Nun, diese Hoffnung wird sich nicht erfüllen. Es
entspricht dem Gerechtigkeitsgefühl, daß ein solches Genußmittel höher be-
steuert wird, wenn es sich um eine Erhöhung der Reichsbedürfnisse handelt.
Der Tabak ist ein reines Genußmittel. Er soll jetzt nur 60 pCt. des Wertes
tragen, während der Branntwein über 200 pCt., das Salz 300 pCt. und der
Zucker 60 pCt. trägt. Man hat die große Masse der Bevölkerung gegen
die Steuererhöhung mobil gemacht und auch versucht, die träge Masse der
Raucher in Bewegung zu setzen. In jedem Zigarrenladen hat man Peti-
tionen ausgelegt und jeder Schusterlehrling hat das Schwert seiner Mei-
nung gegen dieses Gesetz durch seine Unterschrift unter der Petition in die
Wagschale geworfen. (Lachen links.) Die verbündeten Regierungen lassen
sich dadurch nicht einen Moment beirren. (Lebhafte Zurufe: Ist schon oft
so gegangen! Schulgesetz!) Bleiben wir bei der Sache! (Heiterkeit links.)
Gegen das Gesetz wendet man hauptsächlich dreierlei ein: Einwände bezüg-
lich des Verhältnisses zwischen Inlandsteuer und Zoll, Konsumrückgang
mit seinen angeblich schrecklichen sozialen Folgen, Lästigkeit der Kon-
trolle. Der Tabakspflanzer kommt beim jetzigen Steuersystem am schlechtesten
fort; dieses System legt ihm alle Beschwerden auf, welche er unter dem Monopol
fände, ohne ihm eine sichere Abnahme seines Produkts zu gewähren. Selbst-
verständlich drückt die Gewichtssteuer den minderwertigen Inlandstabak
am härtesten, und die Kontrolle lastet nur auf der Inlandsproduktion.
Zwischen den Vertretern der Tabaksindustrie und der Regierung ist
darüber nicht der geringste Zwiespalt, daß aus dem jetzigen Tabakssteuer-
system höhere Einnahmen nicht zu erzielen sind, schon weil der Tabaks-
bauer eine höhere Steuer für sein Produkt nicht bezahlen kann. Die dem
Gesetz nicht freundlich gegenüber stehende „Süddeutsche Tabakszeitung“ er-
kennt dies ausdrücklich als zutreffend an. Eine prozentuale Erhöhung von
Inlandssteuer und Zoll ist also unausführbar. Es liegt im Wesen der
Materialsteuer, daß sie nur so lange ertragen werden kann, als auch das
minderwertigste Produkt sie zu tragen vermag. Steigt die Materialsteuer, so
wird das minderwertige Produkt überlastet und man muß zur Fabrikatsteuer,
zur Verbrauchsabgabe übergehen. Diese Entwickelung hat sich bei der Brannt-
wein- und der Zuckersteuer vollzogen, und denselben Schritt müssen wir beim
Tabak machen, wenn wir höhere Einnahmen haben wollen. Die Einwände
der Tabakspflanzer gegen das Gesetz, dem sie sonst sympathisch gegenüberstehen,
beruhen darauf, daß sie schon durch das Tabakssteuergesetz von 1879 geschädigt
seien, weil sie keinen genügenden Zollschutz genießen. Eine weise Wirtschafts-
politik muß zuerst dahin wirken, daß das, was die eigene Scholle an ein-
heimischem Produkt erzeugen kann, auch unter allen Umständen erzeugt
werden muß. Dieser Grundsatz erleidet eine Modifikation, weil die Verwen-
dung des Inlandstabaks qualitativ und quantitativ beschränkt ist, weil
beim Tabak der Geschmack mitspricht. Ist der Tabaksbau durch das Gesetz
von 1879 wirklich geschädigt? Nach einer Denkschrift des bekannten Sach-