Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

194 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 13.—15.) 
ungünstigen politischen Weltlage und den zerfahrenen inneren Zuständen 
trage, mit den Worten: die Sozialdemokratie ist auf der Grundlage der 
Wissenschaft begründet und die Streitigkeiten führen alle zur Einigung der 
Partei; jede Hoffnung auf Spaltungen ist nutzlos. Der internationale So- 
zialismus wird Herr werden über den internationalen Anarchismus, den 
von oben und den von unten! 
13. Dezember. (Reichstag.) Schluß der Etatsberatung. 
Abg. Dr. Böttcher (ul.) empfiehlt Sparsamkeit in den Ausgaben 
und sorgfältige Prüfung der einzelnen Forderungen, ist aber zur Erweite- 
rung der Einnahmen durch neue indirekte Steuern bereit. Ein Schutz des 
Mittelstandes in Stadt und Land durch den Staat sei dringend erforder- 
lich, ebenso die Abwehr der revolutionären Bestrebungen. Nachdem Abg. 
Payer (südd. V.P.) gegen den Etat gesprochen und u. a. den höfischen und 
militärischen Charakter der Reichstagseinweihung getadelt hat, fordert Abg. 
Zimmermann (Antis.) Schutz der durch die Handelsverträge geschädigten 
Landwirtschaft und wendet sich gegen die geplante Tabaksteuer. Er tadelt 
ferner Uebelstände auf dem Gebiete der Rechtspflege und fordert energische 
antisemitische Maßregeln als beste Bekämpfung des Umsturzes. 
10./13. Dezember. Aufenthalt des Kaisers in Hannover 
und Springe. 
Dezember. (Berlin.) Neue offiziöse Zeitung. 
Die preußische Regierung begründet eine Zeitung die „Berliner 
Korrespondenz“, mittelst deren der Presse von Zeit zu Zeit Nachrichten 
über die Absichten der Regierung zugehen sollen. 
14./15. Dezember. (Reichstag.) Interpellation über die 
Notlage der Zuckerindustrie. 
Abg. Paasche (ul.) bringt folgende Interpellation ein: Welche Maß- 
regeln in Bezug auf eine Abänderung des geltenden Zuckersteuergesetzes ge- 
denken die verbündeten Regierungen zu ergreifen, um die Schädigungen, 
welche der deutschen Landwirtschaft und der deutschen Zuckerindustrie durch 
die ausländischen Besteuerungsformen des Zuckers erwachsen, zu beseitigen?! 
In der Begründung führt der Interpellant aus, daß durch die 
nordamerikanische Gesetzgebung eine Ausschließung des deutschen Zuckers vom 
nordamerikanischen Markte zu befürchten sei und die deutsche Landwirtschaft 
dadurch großen Schaden erleiden werde. Er empfiehlt eine Erhöhung der 
Ausfuhrprämien. Staatssekretär Graf Posadowsky erkennt die traurige 
Lage der Zuckerindustrie, namentlich der kleinen Fabriken, und ihre Be- 
deutung für die Landwirtschaft an. Die Ursache der Kalamität sei der hohe 
amerikanische Zuschlagszoll und die Ueberproduktion. Da das Verhältnis 
zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten noch nicht geklärt sei, 
könne er noch keine bestimmten Vorschläge zur Abhilfe machen, wohl aber 
eine wohlwollende Prüfung der Frage durch die Regierung verheißen. Abg. 
Richter (fri. Bp.): Die Ueberproduktion sei die Ursache der niedrigen Preise, 
daran würden auch erhöhte Exportprämien nichts ändern. Abg. Graf 
Kanitz (Dk.) befürchtet, daß die amerikanischen Tarife in Kraft bleiben 
werden und fordert für die Landwirtschaft eine andere Erwerbsquelle, damit 
sie wegen der niedrigen Getreidepreise nicht mehr zum Rübenbau gezwungen 
sei. Am folgenden Tage plädieren die Abgg. Graf Mirbach (Dk.) und 
Friedberg (ul.) für die Erhöhung der Ausfuhrprämien, die Abgg. Meyer 
(fr. Vg.) und Wurm (Soz.) dagegen.
	        
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