198 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 17.—26.)
Bebel (Soz.): Er sei in den siebziger Jahren oft beim Hoch auf den Kaiser
sitzen geblieben, ohne daß davon Notiz genommen sei. Auf der rechten Seite
säßen übrigens viele, die in den letzten Jahren das Hoch nicht mit Freuden
ausgebracht hätten. Die Resolution Adt beweise die deutsche Bedienten-
natur. (Präfident v. Levetzow ruft den Redner wegen Beleidigung der
deutschen Nation zur Ordnung.)
Hierauf wird in namentlicher Abstimmung der Kommissionsantrag
(Ablehnung der Genehmigung zur Strafverfolgung) mit 168 gegen 58
Stimmen angenommen. Abg. Liebknecht enthält sich der Abstimmung.
Die Resolution Adt und Genossen wird gegen die Stimmen der vier
Parteien der Linken angenommen
17. Dezember. (Reichstag.) Umsturzvorlage. Vertagung
des Hauses.
Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding: Die Regierung
erwarte eine unbefangene Prüfung der Vorlage. Diese solle keineswegs die
Presse knebeln oder der öffentlichen Meinung einen Maulkorb anlegen, son-
dern sie richte sich allein gegen die Auswüchse der öffentlichen Diskussion,
die das öffentliche Urteil irre führen. Sie sei auch kein Ausnahmegesetz,
allein gegen die Sozialdemokraten gerichtet, sondern suche generell Aus-
schreitungen gegen die staatliche und gesellschaftliche Ordnung auf dem Boden
des gemeinen Rechts zu bekämpfen. Wenn in Deutschland auch noch keine
solche anarchistischen Verbrechen wie im Auslande begangen seien, so zeige
doch die Verherrlichung dieser Verbrechen und der ganze Ton in der Presse
der Umsturzparteien (wovon Redner einige Proben verliest) die Notwendig-
keit, gegen dies Treiben einzuschreiten. Werde die Vorlage abgelehnt, so
würden wir entweder auf der schiefen Ebene weiter treiben oder es müßte
ein neues Ausnahmegesetz geschaffen werden.
Abg. Singer (Soz.) beantragt die Vertagung und bezweifelt zu-
gleich die Beschlußfähigkeit des Hauses. Da die Beschlußunfähigkeit kon-
statiert wird, schließt der Präsident v. Levetzow mit folgenden Worten
die Sitzung: Der Namensaufruf ergibt die Anwesenheit von 158 Mitglie-
dern, das Haus ist also nicht beschlußfähig. Wir müssen hier also ab-
brechen. Ich sehe mich zu meinem tiefsten Bedauern in der Uebung meiner
Amtspflicht, die Arbeiten des Hauses zu fördern, durch den Vertagungs-
antrag und die dadurch konstatierte Beschlußunfähigkeit behindert. Es würde
ganz vergeblich sein, heute oder morgen eine Sitzung noch abzuhalten; des-
halb lade ich Sie ein, zur nächsten Sitzung Dienstag, den 8. Januar, nach-
mittags 2 Uhr zusammen zu kommen. Tagesordnung: Fortsetzung der
heutigen Tagesordnung. Ich bitte Sie aber, recht vollzählig zu erscheinen,
damit Land und Haus nicht wieder ein so beschämendes Schauspiel erleben,
wie heute. (Beifall.)
21. Dezember. Übersiedlung des Fürsten Bismarck von
Varzin nach Friedrichsruh.
21. Dezember. (Bonn.) Meinhold und Grafe (vgl. S. 175).
Den von der orthodoxen Presse angegriffenen Professoren der Theo-
logie Meinhold und Grafe wird von 200 Theologen und 140 Nicht-
theologen unter Protest gegen jene Angriffe eine Vertrauensadresse überreicht.
26. Dezember. (Berlin.) Ende des Bierboykotts. (Vgl.
S. 162). Urteile der Presse und der Parteien.
Die boykottierten Brauereien und die Führer der Arbeiter schließen