Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

10 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11.) 
— aber das ist nicht der Konsum, sondern nur die Zufuhr an Roh- 
material —. 1,7 Kilogr. pro Kopf der Bevölkerung, 1879 trat das neue 
Tabakssteuergesetz bezüglich der Zölle in kraft und sofort sank 1879/80 an- 
geblich der Konsum auf 0,7 Kilogr., d. h. um 74 pCt. Nach dieser Sta- 
tistik hätte sich also die höchst wunderbare Thatsache zugetragen das ¾ aller 
Raucher nicht mehr geraucht oder alle ihren Konsum um ¾ eingeschränkt 
hätten. Am 1. Juli 1880 wurde die Steuer erhöht, und wunderbarer 
Weise stieg der Konsum auf 1,.3 Kilogr. pro Kopf. 1881/82 ergab sich 
wieder ein Konsum von 1,6 Kilogr. d. i. genau derselbe Konsum, der für 
die drei Jahre vor 1877/78 berechnet ist, also vor der Zeit, wo die Ein- 
wirkungen des Tabakssteuerprojektes von 1879 begannen. Die Statistik 
beweist also nichts für einen Rückgang des Konsums. Dieser Rückgang ist 
auch für größere Zeiträume nicht nachzuweisen. Der sogenannte Konsum 
betrug von 1873 74 bis 1876/77 durchschnittlich 1,6 Kilogr. pro Kopf, von 
1884 85 bis 1891/92 1,5 Kilogr. Infolge des Gesetzes von 1879 ist also 
der Konsum angeblich um /10 Kilogramm zurückgegangen, und das soll 
einen Konsumrückgang beweisen, wenn man erwägt, wie mangelhaft die 
Statistik vor 1879 war. Die wesentlich anderen Resultate in der gegneri- 
schen Presse beruhen derauf, daß die Jahre 1871/72 und 1872/73 mit der 
abnormen Mehreinfuhr eingerechnet werden, und daß der Verbrauch der 
Bevölkerung pro Kopf nach der Bevölkerungszahl des letzten Jahres der 
Periode anstatt der Durchschnittszahl der ganzen Periode berechnet wird. 
Es ist wesentlich ein Kampf um die Fünfpfennig-Zigarre, denn diese bedeutet 
50 pCt. des ganzen Konsums. Durch die Fabrikatsteuer würde das Mille 
zu 35 M. — d. h. die Fünfpfennig-Zigarre — mit 3 M., das Hundert mit 
30 J. mehr belastet werden, als es durch die Steuererhöhung von 1879 
belastet wurde. Dadurch ist der behauptete Konsumrückgang unter keinen 
Umständen zu befürchten. Im Detailverkauf hatte die 35 —M-Zigarre vor 
1879 einen Preis von etwa 4 ½ J, jetzt hat sie einen solchen von 5 J. und 
wird künftig etwa 6 J. kosten. Daß nur eine Preiserhöhung von 1 J. eintritt, 
ist von einem hervorragenden Sachverständigen in der Mannheimer Ver- 
sammlung anerkannt worden. Es ist überhaupt nicht nachgewiesen, daß 
ein nennenswerter Rückgang durch das Gesetz von 1879 stattgefunden hat, 
oder höchstens um 1/16. Es ist möglich, durch eine andere Oualität und 
Quantität denselben Preis wie vorher zu erreichen. Die Zigarrenindustrie 
hat sich schon 1879 so geholfen. Denn es ist eine eigentümliche Erschei- 
nung, daß bei der Enquete von 1878 angenommen wurde, daß ein Doppel- 
zentner Tabak 14000 Stück Zigarren gebe, während jetzt 16,700, ja bis 
20,000 Stück darauf gehen. (Widerspruch links.) Die Zigarre scheint also 
durch die Gesetzgebung von 1879 thatsächlich etwas kleiner geworden zu 
sein. Die Regierung soll selbst ein Konsumrückgang um 1/12 angenommen 
haben. Das hat uns unendlich fern gelegen, wir haben nur den Ertrag 
finanziell geschätzt und wir mußten ihn gering schätzen, weil wir genau 
wußten, daß ebenso wie 1879 mit aller Kraft in den Fabriken gearbeitet 
werden würde, um die erhöhte Steuer zu vermeiden — man mußte sogar 
die Ueberstunden zu Gunsten der weiblichen Arbeiter verbieten — und daß 
die Privaten sich mit 5 Kilogramm steuerfreier Zigarren versehen würden. 
Wenn eine solche Fabrikatsteuer wirklich einen so unheilvollen Einfluß auf 
den Umfang der Produktion üben könnte, so bin ich sehr überrascht, daß 
diese Wirkung nicht durch die großen Preisschwankungen des Tabaks ein- 
getreten ist; denn diese Preisschwankungen, namentlich beim ausländischen 
Tabak, sind viel stärker, als die Preisunterschiede durch die Steuererhöhungen. 
Man sagt, das deutsche Volk kann nur einen bestimmten Betrag für seinen 
Rauchbedarf ausgeben; würde dieser überschritten, so ginge der Konsum 
 
	        
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