Sie Gesterreigisch= Angerische Monarcie. (Mai 11.—21.) 211
II. Mai. (Wien.) Das Abgeordnetenhaus nimmt die Valuta-
vorlage mit 166 gegen 106 Stimmen an (vgl. S. 200).
Der Annahme gingen lange Debatten im Hause und in den Klubs
vorher, da ein Teil der Polen und des Hohenwartklubs dagegen war.
12. Mai. (Ministerium Wekerle.) Der Kaiser erteilt dem
ungarischen Ministerpräsidenten Wekerle die Ermächtigung, die kirchen-
politische Vorlage dem Abgeordnetenhause zum zweiten Male vor-
zulegen.
13./14. Mai. (Pest.) Kongreß der ungarischen Sozialisten.
Es wird hauptsächlich die Lage der Landarbeiter besprochen und be-
schlossen, auf die Besserung ihrer Lage im Rahmen der Gesetzlichkeit hin-
zuwirken.
16./21. Mai. (Pest.) Abgeordnetenhaus. Abermalige Be-
ratung der kirchenpolitischen Vorlage.
Ministerpräs. Dr. Wekerle: Die Argumente des Magnatenhauses
seien nicht derart, daß die Regierung in der Aufrechthaltung ihres früheren
Standpunktes schwanken würde. Die Regierung beharre vielmehr strikte
auf ihrem früheren Standpunkt und unterbreite dem Hause folgenden Be-
schlußantrag: Das Abgeordnetenhaus hält an dem hinsichtlich des Eherechts
bereits angenommenen Gesetzentwurf fest und sendet denselben an das Mag-
natenhaus mit der Aufforderung zurück, ihn neuerdings in Erwägung ziehen
und annehmen zu wollen. (Langanhaltender Beifall.) (16. Mai.)
Abg. Graf Apponyi: Wiener Einflüsse hätten sich im Oberhause
nicht geltend gemacht; die Hofwürdenträger hätten nur ihr verfassungs-
mäßiges Recht ausgeübt. Er verlangt Aufgabe der obligatorischen Zivil-
ehe und Auflösung des Hauses. Justizminister v. Szilagyi: Das Prin-
zip des Zweikammersystems sei, daß das auf Privilegien basierende Mag-
natenhaus sich dem Willen der Nation beuge; ein Kompromiß in dieser
Angelegenheit sei unmöglich. Falls es sich als nötig erweise, werde die
Regierung behufs Durchsetzung des Willens der Nation die Zahl der lebens-
länglichen Mitglieder des Magnatenhauses vermehren. Das Haus müsse
“uWr den Willen der Nation in imposanter Weise darthun.
(17. Mai.
Am 19. Mai erklärt der Justizminister in Erwiderung auf hef-
tige Angriffe Ugrons, die Sanktionierung der Vorlage sei, wenn dieselbe
nicht wesentlich verändert werde, in Aussicht gestellt, ja sogar gesichert. Die
Berufung hierauf könne man nicht ein Hineinzerren der Krone in den
Parteikampf nennen. Die Initiative auf dem Gebiete der Gesetzgebung stehe
der Krone zu. Die Regierungspartei allein habe eine Moajorität für die
Vorlage gebildet und hiezu der fremden Stimmen nicht bedurft. Das Haupt-
gewicht der Gesetzgebung liege im Unterhause. Das Votum des Oberhauses
sei nicht der Ausdruck des Volkswillens. Wenn jedoch das Unterhaus ein
Kompromiß im Interesse des Landes für das Beste halte, stehe ihm die
Bestimmung in dieser Richtung zu. (Lebhafter Beifall.)
Ministerpräsident Dr. Wekerle: Die Regierung halte an ihrem
Standpunkt fest, weil das Abgeordnetenhaus als wahrer Willensausdruck
der öffentlichen Meinung der Nation anzusehen sei, und weil sich die Ma-
jorität der mnabhängigen nichtgeistlichen Magnaten für die Vorlage aus-
gesprochen, für die Not-Zivilehe aber sich keine einzige Stimme erhoben
habe, endlich auch weil die Regierung überzeugt sei, daß der konfessionelle
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