214 Die Gesterreichis#-Auserische Menarqie. (Juni 1. u. Anf.)
1. Juni. (Wien.) Abgeordnetenhaus. Bergarbeiterfrage.
In einer Debatte über die Verhältnisse in den mährischen Kohlen-
gebieten erklärt der Minister des Innern Marquis de Bacquehem, die
Regierung suche eine Verständigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitern
herbeizuführen. Auf eine Anfrage erklärt Ackerbauminister Graf Falcken-
hayn, ältere Arbeiter seien nicht entlassen worden.
2. Juni. (Wien.) Das Abgeordnetenhaus nimmt die
Delegationenwahlen vor.
Anf. Juni. (Wien.) Die Presse Über die ungarische Mi-
nisterkrisis.
„Neue Freie Presse“: Mit dem Rücktritt Wekerles habe sich ein
großes Ereignis von geschichtlicher Bedeutung vollzogen; es werde jedoch
kein Ministerium in Ungarn eine Mehrheit finden, das nicht das Zivilehe-
gesetz verwirklichen könne.
„Fremdenblatt“: Indem die Krone bis auf einen Punkt Kon-
zessionen gemacht habe, werde die Annahme gestärkt, daß es sich nicht um
einen Bruch mit den liberalen Prinzipien und der liberalen Partei handle,
sondern nur um eine andere Methode, um die von dem Kabinet Wekerle
inaugurierte Politik ohne innere Erschütterungen und ohne Vergewaltigung
einzelner Faktoren der Gesetzgebung zur Durchführung zu bringen. Eine
Staatskrise in Ungarn sei unmöglich, wenn die neugeschaffene Lage loyal
aufgefaßt werde und die liberale Partei dem Grafen Khuen-Hédervary mit
Vertrauen begegne.
„Vaterland"“: Es könne auch der neuen Richtung nicht mit voller
Beruhigung entgegen sehen, da auch Graf Khuen-Hédervary nicht konser-
vativ sei und für die Zivilehe gestimmt habe, doch hege es das Vertrauen,
der neue Ministerpräsident werde in dem kirchenpolitischen Kampfe auf die
Einhaltung der deakistischen Ueberlieferungen dringen.
2. Juni. (Pest.) Gründe der Demission. Beschluß der libe-
ralen Partei.
In der Konferenz der liberalen Partei erklärt Wekerle, die Krone
habe die von der Regierung verlangten Garantien zur Durchführung der
Ehegesetzvorlage nicht in allen Teilen genehmigt, sondern den Pairsschub
abgelehnt. Deshalb habe das Kabinet demissioniert. Der konstitutionelle
Sinn des Monarchen biete die Gewähr dafür, daß die Vorlage im wesent-
lichen unverändert Gesetzeskraft erlangen werde. Die liberale Partei be-
schließt, an ihrem kirchenpolitischen Programm festzuhalten und dankt den
Ministern für ihre männliche Haltung.
In der Presse wird auch als Hauptgrund der Entlassung des ungari-
schen Ministeriums die Unzufriedenheit des Kaisers mit dessen Haltung in
der Kossuthfeier und seiner allmächtigen Stellung in Ungarn, die das mo-
narchische Prinzip gefährde, angegeben. Hohe Aristokraten sollen namentlich
in dieser Beziehung ihren Einfluß bei Hofe gegen Wekerle geltend machen.
Anf. Juni. Stimmung in Ungarn. Kälnoky.
Während die Opposition triumphiert, hält die regierungsfreundliche
Presse die Hoffnung, die kirchenpolitischen Vorlagen noch durchzuführen,
fest. Das ablehnende Votum des Magnatenhauses wird zum Teil, da meh-
rere Hofwürdenträger mit „nein“ gestimmt haben, auf den Einfluß des
Hofes und vor allem des Grafen Kälnoky zurückgeführt, der deshalb heftig
angegriffen wird.