Die Gesterreichisch-Auzarische Menarchie. (September 17.) 225
seither sehr abgeschliffen. Man hat sich gewöhnt, den Dreibund als einen
Faktor zu betrachten, von dem der europäische Friede nichts zu fürchten,
mit dem er aber zu rechnen hat.
Es ist im Laufe der Jahre auch für jene, die daran zweifelten, evi-
dent geworden, daß die Friedensliebe und die lauteren Absichten der Mo-
narchen, die an der Spitze der verbündeten Staaten stehen, es dahin bringen,
daß keine anderen Ziele, als die allbekannten, von denselben verfolgt werden.
Wir sehen dies aus den sehr freundschaftlichen Beziehungen, die wir zu
allen Mächten erhalten, auch zu denen, die sich außerhalb des Dreibundes
befinden, und zwar nicht nur mit solchen, welche wir gewohnt find, auf
Grund alter Sympathien und der Interessengemeinschaft, wie England, an
unserer Seite zu finden, sondern auch mit solchen, welche den Dreibund
als gegen sich gerichtet ansehen. So haben unsere Beziehungen zur fran-
zösischen Republik sich sehr freundschaftlich gestaltet, und hat der zufällige
Anlaß, daß unser Herrscherpaar an der französischen Küste weilte, der fran-
zösischen Republik und Bevölkerung Gelegenheit geboten, in zuvorkommend-
ster und herzlichster Weise unseren Majestäten zu begegnen. Die wärmeren
Töne, die hierdurch in unsere Beziehungen gebracht wurden, haben auch
bei uns verständnisvollen Widerhall gefunden, wie sich bei der verab-
scheuungswürdigen und entsetzlichen Katastrophe, die Frankreich in so tiefe
Trauer stürzte, gezeigt hat. Dasselbe sahen wir bei Rußland. Unsere Be-
ziehungen zu demselben sind durchaus freundschaftliche; die Herrscher beider
Staaten haben identische Ziele, in denen beide die Wohlfahrt und den
Frieden ihrer Reiche anstreben, und es erfüllen deren Regierungen nur ihre
Pflicht, indem sie zur Förderung guter Beziehungen das ihrige thun. Der
kürzlich abgeschlossene Handelsvertrag ist ein wesentlicher Schritt in dieser
Richtung. Er hat die besondere Bedeutung, daß er für einen Zeitraum
von 10 Jahren nicht nur die materiellen Verhältnisse zwischen unserer Mo-
narchie und Rußland stabilisiert, sondern auch eine engere Basis für gute
Beziehungen überhaupt zu bilden geeignet ist, denn die Annäherung auf
wirtschaftlichem Gebiet übt stets einen Rückschlag auch auf die politischen
Verhältnisse aus. Wenn ich also heute die Lage als eine friedenverheißende
und für uns beruhigende erkläre, und wenn ich in der Lage bin, es aus-
zusprechen, daß die in die Festigung des Friedens gesetzten Hoffnungen uns
eine große Zuversicht einflößen, es werde die zarte Pflanze des Friedens,
die wir so sorgfältig pflegen und die immer der Gegenstand unserer Sorge
bleiben wird, nach und nach feste Wurzeln fassen, so kann ich, von diesem
Standpunkt ausgehend, die Ereignisse, die in kleineren Ländern vorgefallen
find. mit Ruhe ins Auge fassen, indem diese Vorfälle immerhin wichtig
nd, aber deshalb keinen gefährlichen Charakter haben, weil wir sie we-
sentlich als lokale innere Fragen ansehen können, aus denen weitere Kom-
plikationen nicht entstehen werden. Es sind mehrere Fragen über diese
Nachbarländer an mich gestellt worden, und da kann ich gerade bei Ser-
bien darauf hinweisen, daß die dort vorgekommenen Krisen zwar neuerdings
von einem bedauerlichen Mangel an Stabilität Zeugnis geben, uns aber
nur insofern berühren, als unsere Beziehungen dadurch tangiert werden.
Ich habe es hier schon mehrere Male ausgesprochen, daß wir in Serbien
keine Politik machen, sondern daß wir dort unsere Interessen auf nachbar-
liche Beziehungen beschränken. Davon sind wir vollkommen überzeugt, daß
der junge König den ernsten Wunsch hat und diese Bestrebungen auch bei
jeder Gelegenheit bethätigt, die freundschaftlichen Beziehungen mit den
Nachbarmonarchien aufrecht zu erhalten, und daß auch die gegenwärtige
Regierung, diesen Intentionen des Königs entsprechend, ihr Möglichstes
thut, um den nach und nach angewachsenen Beschwerden gerecht zu werden.
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXXV. 15