Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

Bie Gesterreichish-Angarische Monarchie. (September.) 231 
nade, wie sie dem ganzen Charakter der rumänischen Irredenta entspreche, 
und ungeeignet, irgend welche Besorgnisse oder gar Furcht zu erregen. Zu. 
einer agressiven Aktion fehle der gemeinschädlichen Agitation jede Vor- 
bedingung. Von Bulgarien sagt der Minister, er bedauere die Art des 
Ministerwechsels, der freilich unvermeidlich geworden sei, aber keinen System- 
wechsel bedeute. Ueber das Verhältnis zu Serbien und Italien ver- 
weist er auf seine Darlegungen in der österreichischen Delegation, und was 
speziell Prof. Bonghi betreffe, so genieße dieser nicht die genügende Wich- 
tigkeit, daß die italienische Regierung Veranlassung haben sollte, sich amtlich 
mit seinen Auslassungen zu beschäftigen. Die Frage Falks, ob internatio- 
nale Abmachungen gegen die Anarchisten vorlägen, verneint Kölnoky; dem 
Erzbischof Salmassa erwidert er, die Vorlegung eines Rotbuches sei über- 
flüssig, da die Tagespresse alle Ereignisse so schnell veröffentlichte, daß das 
Rotbuch bei seinem Erscheinen nicht mehr aktuell wäre. Was ein künftiges 
Konklave anlange, so werde bei einem solchen die Wahlfreiheit aufrecht- 
erhalten und alles, was dem Monarchen an Rechten zustehe, gewahrt werden. 
Am folgenden Tage spricht der Ausschuß dem Minister die Billi- 
gung seiner Politik und das Vertrauen in seine Leitung aus. (20. Sept.) 
September. (Lemberg.) Polnische Kundgebungen. Kos- 
cielski. Kußtelan. „Neue Fr. Presse“. „Gazeta Norodowa"“. 
Bei einem großen Festmahle, dem viele Polen aus Preußen und 
Rußland beiwohnen, hält das preußische Herrenhausmitglied Herr v. Kos- 
cielski eine Rede über die Zusammengehörigkeit aller Polen und ihre 
politischen Aufgaben, in der er nach Berichten deutscher Blätter gesagt 
haben soll: „Polen sei unteilbar trotz der Zerreißung, welche die Landkarte 
aufweise, welche die Polen zwar schmerzlich empfinden, die aber den pol- 
nischen Organismus nicht vernichtet habe. Es sei ein polnisches Volk ge- 
blieben, ein Herz, welches überall in gleicher Weise schlage und empfinde. 
Die preußischen Polen hätten von den galizischen die Arbeit für öffent- 
liches Wohl, die Sammlung der politischen Kräfte und jene Klugheit ge- 
lernt, welche dem Gefühle häufig Stillschweigen auferlegt, damit nicht ge- 
äußert werde was schaden, nicht aber nützen werde.“ (16. Sept.) 
Nach dem „Dziennik Poznanski“ hat er dagegen gesagt: „Eure 
Herzlichkeit beweist, daß wir an diesem Tische nicht Gäste, sondern Brüder 
sind; denn die Herzen, die Ihr uns entgegenbringt, sind nur für die Brüder. 
Einigen schien es, daß sie, nachdem gewisse Linien auf dem Körper der 
Nation gezogen und mit gewissen Farben bemalt worden, die Nation ver- 
nichten und in kleine Teile zerlegen werden. Trotzdem aber ist die ganze 
Nation nur ein Organismus, sie hat nur ein Herz, einen Gedanken. Ma- 
teriell kann man uns teilen, aber die Gefühle kann niemand vernichten. 
Ihr weint über jeden bei uns aufgekauften Morgen Land, über jeden Aus- 
gewiesenen und ebenso weint Ihr heute über jedes uns zugefügte Unrecht. 
Ihr hebt stets unsere Verdienste hervor — wir haben ihrer nicht viel, das 
größte Verdienst aber ist, daß wir als die Ersten unseren jüngsten Bruder 
zur nationalen Arbeit berufen haben; als wir bemerkten, daß die Waffe 
unseren Händen entfiel, sorgten wir dafür, sie in dessen Hände zu geben, 
dieselben werden sie erheben, wenn wir nicht mehr sein werden. Dafür 
haben wir von Euch die Arbeit gelernt, welche nicht nach persönlichem 
Ruhm trachtet, sondern das Gemeinwohl im Auge hat. Die rückkehrende 
Woge ließ uns von Euch auch diejenige öffentliche Thätigkeit, den leitenden 
politischen Gedanken lernen, welcher uns gebietet, mit den Umständen zu 
rechnen — es gebührt also denjenigen alle Anerkennung, von welchen wir 
diesen leitenden politischen Gedanken gelernt haben."“
	        
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