Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

232 Die Gesterreizisch-Augerische Monuchie. (September.) 
Dr. Kußtelan (Posen) äußerte u. a.: „Wir kommen aus dem Lande 
des Unglücks, wo wir kämpfen und durch die That beweisen, daß wir uns 
nicht nationalisieren lassen. Wir sind zu Euch gekommen, um Trost und 
Hoffnung zu schöpfen und uns an Eurer Brust zu erwärmen. Wir ver- 
sichern Euch, daß wir uns nicht ergeben. Das Land ist von dem Schweiß 
des polnischen Bauern durchtränkt, überall ist polnischer Geist, überall hören 
wir die Stimme unserer Vorfahren. Haltet Euch und ergebt Euch nicht. 
Wer in diesem polnischen Lande das Brot essen wird, muß früher oder 
später Pole werden.“ 
An diese Reden knüpft sich eine große öffentliche Diskussion über 
die Polenfrage in Oesterreich und Preußen. (Vgl. Deutschland.) 
Herr v. Koscielski wird von demokratischen polnischen Blättern 
heftig angegriffen; mit seiner Politik könne sich vielleicht der polnische Adel, 
nie aber die ganze polnische Nation einverstanden erklären. 
Von deutscher Seite wird Koscielski wegen der Betonung der pol- 
nischen Solidarität angegriffen, so namentlich von der „Neuen Freien 
Presse“, die unter Berufung auf die Rede des Fürsten Bismarck den re- 
aktionären Einfluß der Polen auf die österreichische Regierung bespricht. 
(18. Sept.) Hiergegen erläßt Hr. v. Koscielski eine Erklärung, in der es 
heißt: „Ich habe allerdings in einer der Ansprachen, die ich in Lemberg 
zu halten Gelegenheit gehabt habe, die Solidarität der ganzen polnischen 
Nation, ohne Rücksicht auf die politischen Grenzen, hervorgehoben; aber 
ich habe zunächst die ethnographische Solidarität, die zu leugnen es wohl 
niemandem einfallen wird, gemeint, sodann die politische an der Erscheinung 
zu demonstrieren versucht, daß der Gedanke einer loyalen Anlehnung an 
das Herrscherhaus und eines freudigen Mitwirkens an den Aufgaben des 
Staates, der in Oesterreich so schöne Früchte gezeitigt, sich nunmehr auch 
in der polnischen Bevölkerung Preußens Bahn gebrochen und in stetiger 
Entwickelung begriffen ist. Ich glaube, daß es kaum möglich wäre, aus 
einer solchen Auffassung der Solidarität der ganzen polnischen Nation eine 
Bestätigung der vom Fürsten Bismarck neuerdings aufgestellten Behaup- 
tungen herauszukonstruieren. Ich will hier auf die Fürst Bismarcksche Rede 
um so weniger eingehen, als ich bald Gelegenheit zu haben hoffe, es in 
einer erschöpfenderen Form thun zu dürfen; was aber die vielbesprochene 
Rede Sr. Majestät des Kaisers Wilhelm in Königsberg betrifft, so würde 
ich im Interesse der Größe und der Zukunft Preußens wünschen, dieselbe 
möchte in den Kreisen des deutschen Adels denjenigen freudigen Widerhall 
finden, den ich für dieselbe in Lemberg sowohl unter dem galizischen Adel 
als auch unter den dort zu der Zeit zahlreich vertretenen preußischen Polen 
konstatiert habe. Diese freudige Aufnahme der Botschaft seitens der Polen, 
die bekanntlich in Deutschland der agrarischen Bewegung prinzipiell fern- 
geblieben sind, liefert den Beweis, daß sich der polnische Adel denjenigen 
Elementen zuzählt, die der Kaiserliche Rufer um sich zu scharen bemüht 
ist, und daß er, falls die Fesseln seines Volkes gelöst werden, in diesem 
hehren Streite für Kultur, Recht und Ordnung nicht der letzte zu sein ge- 
sonnen ist. In dieser Gesinnung weiß sich der polnische Edelmann, als 
derzeitiger Anwalt der polnischen berechtigten Bestrebungen, mit allen Klassen 
seines Volkes eins und solidarisch und erblickt in dem künstlichen Unter- 
scheiden zwischen denselben eine soziale Gefahr, für die er jede Verant- 
wortung auf das entschiedenste ablehnt. Sollten dagegen, was Gott ver- 
hüten möge, in Preußen oder in Deutschland Maßregeln geplant werden, 
die auf eine Einschränkung der modernen politischen Errungenschaften hin- 
zielen, so wird der polnische Adel in Preußen, wiederum in vollstem Ein- 
vernehmen mit allen Klassen seines Stammes, den Beweis zu führen wissen, 
 
	        
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