Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11.) 13 
teil ziehen, weil sie vornehmlich die billigeren Fabrikate herstellt. Das 
amerikanische Fabrikat-Steuersystem beweist, daß es der Hausindustrie gar 
nicht schädlich ist. Allerdings besteht dort die Banderolensteuer; diese hat 
aber für den kleinen Händler den Nachteil, daß der Käufer aus der Banderole 
ersehen konnte, wie teuer sich die Zigarren in der Fabrik stellen. Als der 
Gesetzentwurf im Reichsschatzamt noch erst vorbereitet war, da ging durch 
die Presse das Sentiment: ja, die Fakturasteuer, die böte einen Ausweg, 
wie man die Steuer fassen könnte. Auch in dem Bericht der Kommission 
für das Börsensteuergesetz von 1885 hieß es, die Besteuerung der Faktura 
sei notwendig und unentbehrlich — und jetzt wird eine solche Steuerform 
als unerträglich für die Industrie bezeichnet. In einer Versammlung in 
Hamburg wurde behauptet, daß die Fabrikatsteuer an der zu leichten Kon- 
trolle scheitern müsse, und es wurde eine Defraudenkasuistik daran geknüpft, 
als ob alle Interessenten der Tabaksindustrie leichtfertige Personen seien. 
Da haben die verbündeten Regierungen denn doch einen besseren Begriff von 
der Ehrenhaftigkeit des Handelsstandes als dessen eigene Vertreter. Von 
anderer Seite haben wir dann wieder hören müssen: Tabakssklaven, die 
unter Polizeiaufsicht stehen! Ja man hat sogar gesagt: „Das Schicksal 
eines Tabaksfabrikanten wird in Zukunft noch beneidenswert sein gegenüber 
dem Schicksal eines aus dem Zuchthaus entlassenen Sträflings.“ (Große 
Heiterkeit.) Aber man wird auch hier mit dem griechischen Weisen sagen 
müssen: die Hälfte ist besser als das Ganze. Bei der Annahme der Militär- 
vorlage war omnium consensus, daß die neuen Steuern keine Lebens-, 
sondern Genußmittel treffen müßten. Die Biersteuer haben die verbündeten 
Regierungen zurückgezogen, weil eine überwiegende Stimmung sich dagegen 
aussprach. Was blieb also anders übrig als die Tabakssteuer? Durch eine 
prozentuale Besteuerung des Tabaks waren höhere Erträge absolut nicht zu 
erreichen. Auch trifft sie zu sehr den Produzenten, ein Einwand, der auch 
gegen die Weinsteuer erhoben worden ist. Diejenigen, die gegen die Wein- 
steuer sind, sind hoffentlich für die Tabakssteuer, die den Produzenten ent- 
lastet und den Konsumenten belastet. Die Erhöhung der Tabakssteuer wird 
nicht von der Tagesordnung verschwinden, weil es im Gerechtigkeitssinn 
des deutschen Volkes liegt, daß der Tabak höher besteuert wird. Als Se. 
Majestät der Kaiser die Gnade hatte, mich zum Staatssekretär zu ernennen, 
erschien in einem rheinischen Blatte ein boshafter Artikel, in dem gesagt 
war, der neue Staatssekretär solle nur eine Art Sitzredakteur für den preu- 
ßischen Finanzminister sein. Bei der Beratung der Steuergesetze werde der 
Abg. Richter den Schatzsekretär fragen, wie er sich Dies und Das gedacht 
hätte, und dieser würde dann unter der Heiterkeit des Hauses verlegen 
schweigen. Dann werde sich aber der Finanzminister Miquel erheben und 
in seiner bekannten Beredsamkeit mit so und so vielen Gründen deduzieren, 
der Schatzsekretär habe sich das so und so gedacht. (Große Heiterkeit.) Dieser 
Scherz hat einen ernsten Hintergrund; er beweist, daß das Gefühl dafür 
im Schwinden ist, wo die Verantwortung für diese Vorlagen liegt. Diese 
Vorlagen sind im Reichs-Schatzamt unter meiner Leitung ausgearbeitet, der 
Reichskanzler hat sie gut geheißen, der Bundesrat hat sie eingehend beraten, 
zum Teil sie abgeändert, und die verbündeten Regierungen denken nicht daran, 
auch nur eine dieser Vorlagen zurückzuziehen oder abzuschwächen, sie hoffen 
vielmehr, daß Sie dieselben annehmen werden im Interesse des Vaterlandes! 
(Heiterkeit links. Beifall rechts.) 
Abg. Fritzen erklärt, das Zentrum lehne die Vorlage ab, da die 
45 Millionen Mark, die die Tabaksteuer mehr bringen solle nur erzielt 
werden könnten mit der Vernichtung der Existenz einer großen Anzahl 
von Unternehmern mit der Brotlosigkeit vieler tausend Arbeiter und mit 
  
 
	        
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