Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

240 JZie Geseerreichisch-Auserische Monarchie. (November 18.—23.) 
schichten, die bisher das Wahlrecht nicht besitzen, die Zustimmung der koa- 
lierten Parteien finden, so werde die Regierung, sofern die Anträge sich 
in dem Rahmen ihres Programms vom 23. November 1893 bewegen, bereit 
sein, an dem Zustandekommen von Gesetzentwürfen auf dieser Grundlage 
mitzuwirken. Namens der koalierten Parteien sprechen die Grafen Hohen- 
wart, Stadnicki und Kuenburg ihre Zustimmung dazu aus, daß die 
Regierung die Wahlreform-Aktion auf den parlamentarischen Boden zurück- 
geleitet habe, und hoffen ein gedeihliches Ergebnis. Kuenburg insbesondere 
wünscht die Ausdehnung auch auf Nichtarbeiter und die Angliederung einer 
fünften Wahlkurie. Die Jungtschechen und Deutschnationalen find unzu- 
frieden mit der Regierungserklärung. Auf eine Bemerkung Fanderliks, das 
Beste wäre, auf die Wahlreform Taaffes zurückzugreifen, erklärt Windisch- 
grätz, das allgemeine Stimmrecht könne die Regierung nie annehmen, sie 
könne nur einer von sämtlichen koalierten Parteien angenommenen Wahl- 
reform zustimmen. 
18. November. (Stuhlweißenburg.) Katholikentag. 
Die Versammlung beschließt, ein Gesuch an den König zu richten, 
die Sanktionierung der kirchenpolitischen Vorlagen zu verweigern. Ferner 
wird die Gründung einer katholischen Volkspartei beschlossen, den nicht- 
magyarischen Nationalitäten wird Duldung ihrer Sprache in Schule und 
Kirche zugesagt. Diese lette Erklärung ruft in der liberalen wie in der 
Unabhängigkeitspartei große Entrüstung hervor. 
18. November. (Prag.) Alttschechischer Parteitag. 
Alttschechische Vertrauensmänner beschließen, aus der politischen Pas- 
sivität herauszutreten und die Partei zu reorganisieren. Es werden mehrere 
Resolutionen gegen die jungtschechische Politik, insbesondere gegen die For- 
derung des allgemeinen Wahlrechts angenommen. 
19. November. (Debreczin.) Kossuthskandal. 
Bei einem Bankett bringt Kossuth ein Hoch auf den König aus. 
Unmittelbar darauf spielt die anwesende Zigeunerkapelle ein Schmählied 
gegen die Deutschen, in das ein Teil der Anwesenden einstimmt. 
Der Vorfall erregt überall die größte Entrüstung; Kossuth erklärt, 
das Ereignis beruhe auf einem Mißverständnis. Vgl. 21., 23. Nov. 
21. November. (Pest.) Abgeordnetenhaus. Interpellation über 
Kossuth. (Vgl. 19. und 23. Nov.) 
Der liberale Abg. Busbach hat folgende Interpellation eingebracht: 
„Warum läßt die Regierung den fremden Staatsangehörigen Franz Kossuth 
eine politische Rundreise unternehmen und durch aufreizende Reden den Land- 
frieden stören!? Hat der Justizminister Verfügungen getroffen, um die auf 
dem Bankett zu Ehren Kossuths in Debreczin vorgekommene Maojestäts- 
beleidigung aufs strengste zu ahnden?" Der Minister des Innern Hieron ymi 
verurteilt unter allgemeinem Beifall die Ausschreitung in Debreczin scharf 
und sagt strenge Untersuchung zu. Die Regierung wolle Franz Kossuth 
nicht als Fremden betrachten, da er sich um die ungarische Staatsbürger- 
schaft beworben habe, sie werde aber keine Gesetzwidrigkeit dulden. 
23. November. (Debreczin.) Kossuthbankett. 
Der Oberstadthauptmann stellt in der Untersuchung des Zwischen- 
falls beim Kossuth-Bankett fest, daß nach den Worten des Pfarrers Thotte: 
„Es lebe das Vaterland!"“ Eljenrufe erschallten und der Name des Königs 
nicht gehört wurde. Die Zigeuner begleiteten den Trinkspruch mit dem 
üblichen Tusch und spielten erst später das Spottlied. 
 
	        
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