Frankreich. (Juni 25.—30.) 267
25. Juni. Die Presse über den Mord.
Die Zeitungen drücken durchweg ihren Abschen über den Mord aus
und betonen, man dürfe nicht Italien für die That eines einzelnen italieni-
schen Verbrechers verantwortlich machen. Trotzdem ist die Erbitterung gegen
die Italiener so groß, daß diese polizeilich geschützt werden müssen. Nament-
lich in Lyon und Südfrankreich kann die Polizei zahlreiche Ausschreitungen
nicht verhindern. (Vgl. Italien.) In radikalen und sozialistischen Blättern
wird die Sorge laut, das Attentat könne zu die Freiheit beschränkenden Gesetzen
Anlaß geben.
25./26. Juni. Beileidsbezeugungen.
Von allen Seiten laufen Beileidsbezeugungen im Elysé ein, so vom
diplomatischen Korps, den Abgeordneten, den Behörden u. s. w. Auch aus
dem Auslande treffen zahlreiche Kundgebungen ein, die erste vom deutschen
Kaiser: „An Madame Carnot in Paris. Ihre Majestät die Kaiserin und
Ich sind auf das Tiefste betroffen über die schreckliche Nachricht, die Wir
aus Lyon erhalten. Seien Sie überzeugt, Madame, daß Unsere volle Sym-
pathie und alle Unsere Gefühle in diesem Augenblick bei Ihnen und Ihrer
Familie sind. Möge Gott Ihnen die Kraft verleihen, diesen furchtbaren
Schlag zu ertragen. Seines großen Namens würdig, ist Herr Carnot wie
ein Soldat auf dem Felde der Ehre gestorben. gez. Wilhem. I. R.
König Humbert telegraphiert an Mme. Carnot: „Der Streich, der
Ihren Gemahl getroffen, erfüllt gleichzeitig Mein Herz und das Herz der
Königin mit tiesem Schmerze. Italien ist nicht minder wie Fraukreich durch
das verübte Verbrechen verwundet und schließt sich ganz und gar Ihrer
Trauer an. Ich bin niemals so sicher gewesen als heute, seine wirklichen
Gefühle zu verdolmetschen. — und an Dupuy: „Die verabscheuungswürdige
That, welche Frankreich seines Staatsoberhauptes beraubte, dessen Person
die allgemeine Achtung und Sympathie genoß, hat Mich in den innersten
Gefühlen meines Herzens getroffen Der Tag, welcher bisher dem Gedächt-
nisse des gemeinsamen Ruhmes beider Nationen gewidmet war, vereinigt sie
heute in gemeinsamer Trauer.“
26. Juni. Das Telegramm des deutschen Kaisers wird in
vielen Blättern sympathisch begrüßt, z. B. im „Echo de Paris“ und
im „Temps“.
27. Juni. (Versailles.) Präsidentenwahl.
Nachdem vom Präsidenten der Nationalversammlung, dem Senats-
präsidenten Challemel-Lacour ein sozialistischer Antrag, die Präsident-
schaft der Republik abzuschaffen, zurückgewiesen und der Namensaufruf der
Deputierten beendet ist, wird zur Abstimmung geschritten. Von 851 ab-
gegebenen Stimmzetteln sind 6 unbeschrieben, 451 lauten auf Casimir Périer,
195 auf Brisson, 97 auf Dupuy, 59 auf Féorier, 27 auf Arago, 22 find
zersplittert. Casimir Périer ist also gewählt, der die Wahl annimmt.
Urteile über die Wahl Cafimir Périers.
Die gemäßigt republikanische Presse begrüßt die Wahl mit Freude,
da sie im neuen Präfidenten einen Vorkämpfer gegen den Anarchismus und
Sozialismus sieht; die radikale greift ihn eben deshalb auf das heftigste
an. Die Monarchisten bezeichnen C. Périers Präsidentschaft als Uebergang
zur Monarchie.
28./30. Juni. Ministerkrisis.
Dupuy reicht die Demission des Kabinets ein; Cafimir Périer be-