Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

268 Frantreitz. (Juli 1.—3.) 
auftragt Burdeau mit der Kabinetsbildung, der aber am 30. wieder zurück- 
tritt, worauf das Ministerium Dupuy wieder eintritt. 
1. Juli. (Paris.) Beisetzung Carnots im Pantheon. An 
der Gruft sprechen Dupuy, der Senatspräsident Challemel-Lacour 
und der Kammerpräsident De Mahy. 
1. Juli. Begnadigung der in Glaß internierten franzöfischen 
Offiziere. 
Die Nachricht wird mit großer Anerkennung ausgenommen; Casimir 
Périer und viele politische Persönlichkeiten sprechen dem deutschen Bot- 
schafter ihren Dank aus, die Presse begrüßt sie zum Teil mit enthufiasti- 
schem Danke. 
3. Juli. Casfimir Périer erläßt folgende Botschaft an die 
Kammer und den Senat: 
„Von der Nationalversammlung zum ersten Beamten des Landes 
berufen, bin ich nicht der Mann irgend einer Partei, sondern ich gehöre 
Frankreich und der Republik an. Ein verabscheuenswürdiges Verbrechen, 
welches von dem nationalen Bewußtsein verdammt wird, hat dem Vater- 
lande einen unbescholtenen Bürger, der fieben Jahre ein eifriger Wächter 
unsrer Institutionen war, geraubt. Möge das Andenken an diesen Helden 
der Pflicht mich leiten und führen! Das Gewicht meiner Verantwortlich- 
ist zu groß, als daß ich wagte, von meiner Erkenntlichkeit zu sprechen. Ich 
liebe mein Vaterland zu heiß, um an dem Tage, da ich sein Oberhaupt 
werde, glücklich zu sein. Möge es mir vergönnt sein, in meiner Vernunft 
und in meinem Herzen die nötige Kraft zu finden, um Frankreich würdig 
zu dienen. Der Akt der Nationalversammlung, welcher die Uebertragung 
der Gewalt in wenig Stunden sicherte, war in den Augen der Welt eine 
neue Weihe für die Institutionen der Republik. Ich spreche meinen Dank 
aus für die vorgestrige bewundernswerte Kundgebung der Dankbarkeit und 
Achtung. Ein Land, welches inmitten so grausamer Prüfungen sich einer 
solchen moralischen Disziplin und einer solchen politischen Kraft fähig zeigt, 
wird auch die beiden sozialen Kräfte zu vereinigen wissen, ohne welche die 
Völker zu Grunde gehen: die Freiheit und eine Regierungsgewalt, welche 
entschlossen ist, die für eine republikanische Demokratie notwendigen sittlichen 
Eigenschaften zu bekunden. Es ist meine feste Absicht, die Geschicke der 
Republik nach Ablauf der sieben Jahre, für welche sie mir anvertraut find, 
anderen Händen zu übergeben. Von Ehrfurcht vor dem Willen der Nation 
durchdrungen und von dem Gefühl der Verantwortlichkeit, werde ich mich 
verpflichtet fühlen, die mir von der Verfassung anvertrauten Rechte weder 
zu verkennen noch sie irgendwie verkümmern zu lassen. Frankreich, das 
seiner selbst sicher ist, das auf seine Armee und seine Marine vertrauen 
kann, das soeben von den Regierungen und Völkern einstimmige rührende 
Beweise der Sympathie erhalten hat, kann erhobenen Hauptes seine Liebe 
zu einem seiner selbst würdigen Frieden versichern. Es wird eine sichere 
Stätte für den Geist der Aufklärung, der Toleranz und des Fortschrittes 
bleiben. Senat und Kammer werden verstehen, den Wünschen des Landes 
zu entsprechen, indem sie sorgsam alle Maßregeln prüfen, welche dem guten 
Rufe Frankreichs dienen können und dazu beitragen, Ackerbau, Industrie 
und Handel weiter zu entwickeln und den öffentlichen Credit noch mehr zu 
stärken. Das Parlament wird den Beweis zu liefern wissen, daß die Re- 
publik, weit davon entfernt, eine unfruchtbare Rivalität persönlichen Ehrgeizes 
zu zeitigen, fortdauernd bestrebt sein wird, in materieller und moralischer 
 
	        
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