Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 17. -18.) 17 
17. Januar. (Baden.) Tabaksteuer. 
Die zweite Kammer fordert mit allen gegen zwei nationalliberale 
und zwei konservative Stimmen die Regierung auf, im Bundesrat gegen 
die Tabakfabrikatsteuer zu stimmen. Die nationalliberale Fraktion erklärt 
in einer besonderen Resolution, daß die Abstimmung sich nur gegen den 
vorliegenden Gesetzentwurf richte. Einstimmig fordert sodann die Kammer 
die Regierung auf, gegen die Frachtbrief- und Quittungssteuer im Bundes- 
rat stimmen zu wollen. 
Januar. (Enthüllungen über 1870/71.) 
Der „Temps“ bringt recht übertrieben klingende Enthüllungen über 
einen geplanten Massenausbruch franz. Kriegsgefangener in Ulm und 
Dillingen 1870. Durch Verrat sei das Komplott entdeckt werden. 
18. Januar. (Berlin.) Polizei und Arbeitslose. 
Eine bereits mehrere Tage vorher demonstrativ angekündigte Ver- 
sammlung der Arbeitslosen kann nicht stattfinden, da der Einberufer vorher 
verhaftet und der Versammlungssaal gesperrt wird. Die Menge wird wegen 
ungesetzlicher Rufe von der Polizei auseinandergetrieben. Die Presse greift 
die Polizei heftig an. (Vgl. 8. Mai.) 
18. Januar. (Graf Herbert Bismarck.) 
An dem Krönungs- und Ordensfeste nimmt zum erstenmale seit 
1890 Graf Herbert Bismarck Teil. 
18. Januar. (Reichstag.) Erste Lesung der Wieinsteuer- 
Vorlage. 
Staatssekretär Graf v. Posadowsky: „Meine Herren! Es ist 
selbstverständlich, daß die Frage der Besteuerung des Weins in Süd- und 
Westdeutschland, wo der Wein produziert wird, wo er vielfach in harter 
Arbeit dem Boden abgerungen wird, wo der Wein ein Volksgetränk ist und 
infolgedessen mit dem Volks- und Kulturleben in ganz anderer Verbindung 
steht, — es ist selbstverständlich, sage ich, daß aus jenen Gründen die Frage 
der Weinbesteuerung in Süd- und Westdeutschland eine ganz andere Be- 
urteilung findet, wie in Nord- und Ostdeutschland, wo der Wein über- 
wiegend nur ein aus dem Inland oder Ausland importiertes Getränk ist. 
Es gibt aber auch in Deutschland, wie mir bekannt ist, eine Anzahl, ich 
möchte sagen, etwas weichherzige Seelen, die diesem edlen Sorgenbrecher als 
Steuerobjekt zweifelhaft gegenüberstehen und jedenfalls sympathischer wie 
seinem etwas plebejischen Kollegen dem Bier, namentlich so lange für letz- 
teres eine neue Steuer von der Regierung nicht vorgeschlagen ist. In Geld- 
sachen hört ja bekanntlich die Gemütlichkeit auf, und ich glaube, vor allen 
Dingen in Steuersachen in dem Augenblicke, wo dieselben zur Bilanzierung 
des klaffenden Defizits des Reichshaushaltsetats absolut erforderlich sind. 
Die verbündeten Regierungen erachten die Weinsteuer als eine durchaus 
rationelle Steuer, weil sie eine Ergänzung unseres Getränksteuersystems 
überhaupt ist, weil sie in Abänderung des Zollvereinsgesetzes den ausländi- 
schen Wein mit einer Inlandssteuer belegt, weil sie vor allen Dingen eine 
Luxussteuer ist. (Widerspruch.) — Ja, meine Herren, ich werde mir er- 
lauben, das nachher weiter auszuführen — eine Luxussteuer, insoweit es sich 
um die Reichssteuer handelt. Der Herr Reichsrat Dr. Buhl, von dem Sie 
doch zugestehen werden, daß er mit der Materie des Weins durchaus ver- 
traut ist, hat auf der Mainzer Versammlung gesagt: darüber könne ja kein 
Zweifel bestehen, daß die Weinsteuer in dem überwiegendsten Teil Deutsch- 
land eine Luxussteuer ist. Es ist aus der Mitte des Hauses in früheren 
2 
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXXV. 
  
 
	        
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