Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

TNien. (August 1.) 321 
Die japanische Proklamation lautet: „Wir, infolge einer seit 
unvordenklichen Zeiten nicht unterbrochenen Succession des Reiches Groß- 
Japan Kaiser, thun hiemit, der himmlischen Hilfe vertrauend, unsern 
tapferen und getreuen Unterthanen kund, daß wir China den Krieg erklärt 
haben. Alle unsere Beamten und Offiziere werden sich in Erfüllung unserer 
Wünsche bemühen, die nationalen Ziele zu fördern und innerhalb der Grenze 
ihrer Befugnisse und in einer dem Völkerrecht nicht widerstreitenden Weise 
alle Mittel zu diesem Zweck anwenden. Mehr denn 20 Jahre find jetzt 
seit unserer Thronbesteigung vergangen. Während dieser Zeit haben wir 
beständig eine Friedenspolitik verfolgt, auch hat unser Verhältnis zu den 
auswärtigen Mächten sich zusehends günstiger gestaltet. Dagegen läuft Alles, 
was China betreffs Koreas gegen uns unternommen, den Grundsätzen zu- 
wider, welche die Beziehungen zwischen befreundeten Nationen regeln sollten. 
Korea ist ein unabhängiges Land, das zuerst von Japan bewogen wurde, 
dem Auslande seine Thore zu öffnen und den ihm gebührenden Platz unter 
den Nationen der Welt einzunehmen. Trotzdem hat China es stets als 
seinen Vasallen hingestellt und sich öffentlich und im geheimen in seine An- 
gelegenheiten eingemischt. Bei dem jüngsten koreanischen Aufstande sandte 
China unter dem Vorwande, den Tributärstaat vor Unheil zu bewahren, 
Truppen dorthin. Auch wir bemühten uns, auf Grund des Vertrags von 
1885 Korea vor inneren Unruhen zu schützen, entsandten gleichfalls Truppen 
dahin und ersuchten China, mit uns gemeinschaftlich vorzugehen; China 
aber lehnte dies ab. Darauf rieten wir Korea, die Mißbräuche in seiner 
Verwaltung abzustellen und seine Rechte als unabhängiger Staat zur Gel- 
tung zu bringen. Korea nahm diesen Rat an, China aber widersetzte sich 
den Reformen und begann zu Wasser und zu Lande zu rüsten. Um sein 
Ziel zu erreichen, verstärkte es seine Truppen in Korea und griff unsere 
Kriegsschiffe in den koreanischen Gewässern an. Es benahm sich also gegen 
Japan in einer dem Recht durchaus zuwiderlaufenden Weise. Es unterliegt 
keinem Zweifel, daß es die Absicht Chinas war, die für die Wahrung des 
Friedens in Korea verantwortliche Autorität zu vernichten, das Land, welches 
Japan als unabhängigen Staat der Welt bekannt machte, zu erniedrigen, 
die Verträge zu mißachten und den Frieden im Osten für immer unmög- 
lich zu machen. Dahin hat sich die Lage allgemach entwickelt. Obgleich 
es nun unser steter Wunsch ist, mit allen Nationen in Frieden zu leben, 
bleibt uns jetzt nur übrig., den Krieg zu erklären, in der Hoffnung, da- 
durh i der Zeit den Frieden wiederherzustellen und das Ansehen Japans 
zu sichern.“ 
In dem Rundschreiben des chinesischen Ministeriums des 
Auswärtigen an die Vertreter Chinas im Auslande heißt es: „Unsere 
kaiserliche Majestät sandte Truppen nach Korea ab, wie es bei früheren 
Aufständen auf der Halbinsel geschehen war. Diese Truppen zogen aber 
nicht in Söul ein, sondern marschierten direkt nach dem Schauplatz des 
Aufstandes, um denselben zu unterdrücken. Die Rebellen zerstoben sofort, 
als sie von dem Vormarsch der chinesischen Truppen hörten. Nachdem die- 
elben dem armen Volk geholfen hatten, dachten sie daran, siegreich den 
ückzug anzutreten. Zu unserm Erstaunen aber sandte nun auch Japan 
Truppen nach Korea, unter dem Vorwande, bei Unterdrückung des Auf- 
standes zu helfen. Der wirkliche Zweck aber war, Söul zu besetzen. Und 
das geschah in der That; außerdem aber besetzten die Japaner alle wichti- 
gen Pässe. Sie verstärkten sich fortwährend, bis ihre Zahl auf 10,000 an- 
gewachsen war. Dann forderten sie, daß Korea sich von China lossagen und 
seine Unabhängigkeit erklären solle. Japan entwarf außerdem viele neue 
Vorschriften zur Abänderung der Verwaltung Koreas, und verlangte deren 
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXXV. 21 
 
	        
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