Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 19./20.) 27 
ferenz der Finanzminister im August vorigen Jahres und nachher im Bundes- 
rat zur Sprache gekommen ist, der aber auch in der Presse und in Ver- 
sammlungen namentlich in Württemberg, berührt wurde — ich meine die 
Thatsache, daß bei den Verhandlungen über den Beitritt Württembergs zur 
Verfassung des Deutschen Bundes im Jahr 1870 zwischen den württem- 
bergischen Bevollmächtigten und den Bevollmächtigten des Norddeutschen 
Bundes Erklärungen gewechselt worden sind in Absicht auf eine etwaige 
künftige Besteuerung des inländischen Weines für Bundeszwecke. Da ich, 
was der Herr Vorredner schon angedeutet hat, einer der damaligen württem- 
bergischen Bevollmächtigten gewesen bin, so kann ich über das damals Ver- 
handelte etwas nähere Mitteilungen machen, und ich halte es für gut, wenn, 
nachdem der Herr Vorredner den Gegenstand überhaupt zur Sprache ge- 
bracht hat, diese Mitteilung in authentischer Weise erfolgt. Zufolge einer 
Anregung des damaligen württembergischen Finanzministers hatten die 
württembergischen Bevollmächtigten im Herbst des Jahres 1870 zu erklären 
— ich bemerke, daß dieser württembergischen Erklärung andere Regierungen 
sich nicht angeschlossen haben; man kann also nicht von einer süddeutschen 
Angelegenheit reden, sondern nur von einer württembergischen — die würt- 
tembergischen Bevollmächtigten hatten im November 1870 zu erklären: 
Sowohl für den Staatshaushalt Württembergs als auch für das Interesse 
seiner Bevölkerung müsse es vom empfindlichsten Nachteil sein, wenn der 
Bund in Anwendung des Art. 4 Ziffer 2 der Verfassung unter Aufhebung 
eines in Württemberg seit Jahrhunderten bestehenden Zustandes es unter- 
nehmen würde, den inländischen Wein für Bundeszwecke zu besteuern. 
(Hört! hört!) Die württembergischen Bevollmächtigten seien deshalb ange- 
wiesen, zu beantragen, daß entweder der Wein von den der Bundesbesteue- 
rung zu unterwerfenden Gegenständen ausgenommen, oder daß seine Be- 
steuerung abhängig gemacht würde von der Zustimmung Württembergs. 
Die Bevollmächtigten des Norddeutschen Bundes haben darauf erklärt: sie 
seien, und zwar aus formellen Gründen, nicht in der Lage, auf einen dieser 
beiden erwähnten Anträge einzugehen; aber es biete nach ihrer Ansicht die 
Eigentümlichkeit des Weines als Besteuerungsgegenstand eine vollkommen 
ausreichende Gewähr dafür, daß der Bund von seinem verfassungsmäßigen 
Recht in dieser Beziehung keinen Gebrauch machen werde. (Hört! hört!) 
Davon, eine auf die Weinerzeugung gelegte Steuer ins Auge zu fassen, 
würden schon die Erfahrungen namentlich in Absicht auf das finanzielle 
Resultat abhalten, die man in den norddeutschen Bundesstaaten mit der 
Weinsteuer, die dort bestanden, gemacht habe. Aber auch die andere, an 
den Verbrauch des Weines sich anschließende Besteueuerungsform würde 
allerdings einen größeren Betrag zu ergeben in der Lage sein, aber das 
doch nur da, wo, wie das in den eigentlichen Weinländern der Fall sei, 
der Wein Gegenstand des Verbrauchs der ganzen Bevölkerung sei und wo 
zugleich die erforderlichen Kontrollen den Organen für andere innere Steuern 
übertragen werden können. Diese beiden Voraussetzungen treffen nur in 
einem verhältnismäßig nicht umfangreichen Teile des Bundesgebiets zu und 
so werde auch die Wahl dieser zweiten Besteuerungsform für den Bund 
ausgeschlossen. (Hört! hört!) Aus diesen Gründen, welche, wie die Be- 
vollmächtigten des Norddeutschen Bundes nicht zweifelten, auch der Bundes- 
rat des Norddeutschen Bundes teilen werde — aus diesen Gründen werden 
nach der Ansicht der Bevollmächtigten des Norddeutschen Bundes die würt- 
tembergischen Bevollmächtigten volle Beruhigung bezüglich der von diesen 
geäußerten Bedenken schöpfen dürfen. Es haben hierauf die württem- 
bergischen Bevollmächtigten, in der Voraussetzung einer entsprechenden Kund- 
gebung auch des Bundesrats des Norddeutschen Bundes, auf die weitere
	        
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