Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

28 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 19. / 20.) 
Verfolgung der von ihnen angekündigten Anträge verzichtet; sie haben diese 
Anträge auf sich beruhen lassen. Der Bundesrat des Norddeutschen Bundes 
aber hat nachher im Dezember 1870 den Erklärungen der Bevollmächtigten 
des Norddeutschen Bundes, wie ich sie angeführt habe, seine Zustimmung, 
seine Gutheißung erteilt. (Hört! hört!) Dies ist der Hergang von 1870. 
Nun, meine Herren, aus den Verhandlungen von 1870 hat der Staat 
Württemberg sicher ein Sonderrecht in Absicht auf die Weinbesteuerung 
nicht erwirken können; die übrigen süddeutschen Staaten und Weinländer 
haben damals für den Gegenstand sich nicht besonders interessiert. (Hört! 
hört!) Sie haben ein Sonderrecht für sich überhaupt nicht beansprucht, 
und Württemberg konnte von Hause aus nicht hoffen, für sich allein ein 
Reservatrecht in Absicht auf Weinbesteuerung erreichen zu können. Die 
Erklärungen von 1870 haben nach meiner Ueberzeugung überhaupt keinen 
rechtlichen Inhalt, sie enthalten auch kein eigentliches, selbständiges Ver- 
sprechen, und das war auch der Grund, warum diese Verhandlungen 
den parlamentarischen Körperschaften im Jahre 1870 nicht mitgeteilt worden 
sind. Wenn in einer dieser Körperschaften damals von der Weinbesteue- 
rung überhaupt die Rede gewesen wäre, dann hätte man natürlich das 
Vorgegangene zur Kenntnis der betreffenden Köperschaft gebracht; aber es 
wäre ganz gewiß dadurch damals in dem Sachverhalt und an dem weiteren 
Verlauf nichts geändert worden. Durch das Anerkenntnis nun aber, das 
ich überzeugungsgemäß ausgesprochen habe, daß die Verhandlungen und 
Erklärungen von 1870 Rechte nicht begründet haben, konnte ich nicht ge- 
meint sein, auszusprechen, daß jenen Erklärungen überhaupt niemals irgend 
eine Bedeutung innegewohnt habe. Ja, meine Herren, wir württembergische 
Bevollmächtigte haben uns damals gesagt und sagen dürfen: die Erklä- 
rungen sind in entgegenkommender und beruhigender Weise abgegeben 
worden, es war auch die Absicht, entgegenzukommen und zu beruhigen. 
Sie sind ausgegangen von einer Autorität, wie Delbrück eine damals ge- 
wesen ist, — er ist noch eine. (Heiterkeit.) Sie waren abgegeben im Zu- 
sammenhang mit dem doch sehr wichtigen Akte der Neubegründung der deut- 
schen Verfassung, und es hat der Bundesrat des Norddeutschen Bundes es 
für angemessen gehalten, die Erklärung seines Bevollmächtigten ausdrücklich 
gut zu heißen. Welcher Wert nun aber, welche Bedeutung, allerdings nach 
23 Jahren, nach allem, was in dieser Zeit vorgegangen ist, beigemessen werden 
kann und beigemessen werden will den Erklärungen, die damals abgegeben wur- 
den in Absicht auf einen Teil des seitdem nicht unberührt gebliebenen Getränk- 
besteuerungssystems, das hat und hatte die württembergische Regierung nach der 
einfachen Darlegung des Sachverhalts lediglich abzuwarten. Nun aber der 
Entwurf einer Reichsweinsteuer vorliegt, so möchte ich nur das eine Wort 
noch sagen: überraschen konnte es nach dem von mir Angeführten wohl 
nicht, wenn die württembergische Regierung, obwohl sie von der Notwendigkeit, 
neue Einnahmen für das Reich zu schaffen, durchdrungen ist, und obwohl sie 
auch den Wunsch teilt und teilen muß, eine schützende finanzielle Auseinander- 
setzung zwischen Reich und Einzelstaaten herbeigeführt zu sehen — wenn die 
württembergische Regierung trotzdem an den Bedenken, die sie in Absicht auf die 
Weinbesteuerung immer gehabt hat und die auch von anderen Seiten als gerecht- 
fertigt anerkannt wurden festgehalten hat. Meine Herren, die speziell hierauf 
bezüglichen württembergischen Verhältnisse haben sich nicht gebessert, sie haben 
sich ungünstiger gestaltet, ungünstiger in Absicht auf den Staatshaushalt 
Württembergs, ungünstiger auch in Absicht auf die Lage unseres Wein- 
gärtnerstandes. (Hört, hört! links) Dieser Bevölkerungsklasse, die hart 
arbeitet, aber genügsam ist, die nie verzagt, die aber infolge einer Reihe 
von Fehljahren nachgerade an der Grenze der wirtschaftlichen Existenz-
	        
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