Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 19.) 29
möglichkeit angelangt ist (Hört! hörtl) — dieser Bevölkerungsklasse auch
nur das Geringste noch aufzulegen, was mit einer wirtschaftlichen Schädi-
gung auch nur drohen kann — etwas weiteres will ich nicht sagen, — das
kann in der gegenwärtigen Zeit keine württembergische Regierung unter-
nehmen. (Bravol links.) Man würde das im Lande Württemberg ange-
sichts der Haltung der württemb. Regierung, die sie dieser Frage gegenüber
stets eingenommen hat, einfach nicht verstehen. Deswegen haben wir dem
GE., wenigstens in der Gestalt, in der er jetzt eingebracht ist im Bundes-
rate unsere Zustimmung nicht erteilen können. Gegen die Besteuerung des
Schaumweins und des Kunstweins von Seiten des Reiches hat auch die
württembergische Regierung nichts einzuwenden.
Nachdem sich einige Redner über diese Erklärung, die nach dem Abg.
v. Kardorff (Reichsp.) eine traurige Perspektive über die im Bundesrate
herrschende Uneinigkeit eröffnet, geäußert haben, erklären Schatzsekr. Graf
Posadowsky und Staatssekretär v. Marschall, die württembergische
Regierung sei durchaus loyal verfahren und habe dem Bundesrate ihre
Abneigung gegen die Weinsteuer nicht verhehlt. Auch daß sie im Reichs-
tage ihrer Anschauung Ausdruck geben wolle, habe sie angekündigt. Es
sei nicht möglich und mit dem Wesen des Föderativstaates unverträglich,
daß alle Vorlagen im Bundesrate einstimmig gefaßt würden.
Die Vorlage wird an die Stempelsteuerkommission verwiesen.
19. Januar. (Bayern.) Der russische Handelsvertrag in
der bayerischen Abgeordnetenkammer.
Dieselbe nimmt mit knapper Majorität folgenden von der Zentrums-
fraktion eingebrachten Antrag an: An Se. königl. Hoheit den Prinz-Re-
genten die Bitte zu richten, die Bevollmächtigten Bayerns zum Bundesrate
anzuweisen, mit aller Energie dahin zu wirken, daß 1. bei etwaigem Ab-
schluß eines Zoll- und Handelsvertrages mit Rußland die bis in das Jahr
1893 bestandenen Getreideschutzzölle auch fernerhin aufrecht erhalten bleiben;
2. der Identiätsnachweis, welcher für die landwirtschaftlichen Verhältnisse
Süddeutschlands von außerordentlicher Wichtigkeit ist, nicht aufgehoben
werde.
Ministerpräsident Frhr. v. Crailsheim: „Wäre es denkbar, daß
ein Handels- und Zollvertrag mit Rußland zu stande käme unter Aufrecht-
erhaltung der bisherigen Zölle, so würde es nicht einer Anregung des
Landtags bedürfen um die bayerische Regierung zu veranlassen, dahin zu
wirken, daß an den bisherigen Getreidezollsätzen nicht gerüttelt werde. Allein
darüber dürfte doch kein Zweifel sein, daß das Festhalten an den bisherigen
Sätzen eine Negation des Vertrages überhaupt bedeutet. Die bayerische
Regierung konnte aber ihre Bemühungen unmöglich an einem Punkte ein-
setzen, bei welchem dieselben von vornherein aussichtlos waren. Die
bayerische Regierung hat vielmehr dahin zu wirken gesucht, daß bei den
Kompensationen, welche Rußland im Falle des Abschlusses des Handels-
vertrages durch Ermäßigung der Zollsätze zu gewähren hat, die bayerischen
Interessen thunlichst berücksichtigt werden, und zwar nicht nur auf indu-
striellem, sondern auch auf landwirtschaftlichem Gebiete. Die Verhandlungen
sind noch im Gange, und ich bin nicht in der Lage über den Stand der-
selben eine nähere Mitteilung zu machen; aber das darf doch gesagt werden,
daß die Bedürfnisse Bayerns in Berlin eine bundesfreundliche Aufnahme
gefunden haben und daß sie gegenüber der russischen Regierung mit Erfolg
vertreten worden sind."
Ueber das Votum der bayerischen Regierung im Falle des Vertrags-
abschlusses kann der Minister noch keine Auskunft geben.