Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 29.—31.) 39 
die Summe der Ueberweisungen übersteigen, hat die clausula Franckenstein 
gar keinen Wert mehr, sie ist paralysiert und ihr Wert beschränkt sich auf 
ein Buchmanöver bei der Reichshauptkasse. Der Gedanke der clausula 
Franckenstein war doch der, daß, nachdem den Einzelstaaten durch die Ge- 
setzgebung des Reichs die Einnahmen aus indirekten Steuern und aus Zöllen 
verschränkt sind, sie aus den erhöhten Einnahmen des Reichs an Zöllen 
und Verbrauchsabgaben auch einen Anteil zur Regulierung ihrer Finanzen 
an diesen indirekten Einnahmen haben sollten. Daraufhin haben die Einzel- 
staaten auf Grund dieser Ueberweisungen erhebliche Entlastungen an Steuern 
einerseits eintreten lassen und andererseits eine ganze Anzahl neuer Staats- 
ausgaben befriedigt und Ueberweisungen an die Kommunen gemacht. Ich 
habe darüber, wie die Ueberweisungen aus den Zöllen und Steuern auf 
die Finanzverhältnisse der Einzelstaaten gewirkt haben, eine Zusammen- 
stellung nach Maßgabe der Auskunft aus sämtlichen Einzelstaaten anfertigen 
lassen. Danach ergibt sich, daß seit dem Jahre 1879 in den Einzelstaaten 
über 454 Millionen an Steuern erlassen sind, daß seit derselben Zeit 95 
Millionen neuer Steuern erhoben oder Steuererhöhungen eingetreten sind, 
und daß mithin ein Erlaß und Ueberweisungen von über 359 Millionen 
eintraten. Geht man auf die Verhältnisse zurück, wie sie gegenwärtig in 
den Einzelstaaten liegen, so ergibt sich, daß über 54½ Millionen jährlich 
an Steuern und Abgaben zur Zeit erlassen bezüglich Ueberweisungen er- 
folgt sind, daß über 12 Millionen jährlich neue Steuern und Steuer- 
erhöhungen zur Erhebung gelangt sind, und daß mithin der Erlaß bezüg- 
lich die Ueberweisungen noch über 42½ Millionen jährlich betragen, also 
netto der Betrag, den wir ungefähr auf Grund des Reformgesetzes in Form 
der Pauschalierung, zunächst auf 5 Jahre, den Einzelstaaten überweisen 
wollen! Diejenigen Mitglieder des hohen Hauses, die auf die Finanzreform 
nicht eingehen wollen, stehen also auf dem Standpunkt: obgleich die Vor- 
aussetzung der Bewilligung der erhöhten Steuern und Zölle, die quoten- 
weise Beteiligung der Einzelstaaten an den erhöhten Einnahmen war, ob- 
gleich die Einzelstaaten daraufhin über 42 Millionen jährlich an Steuern 
und Abgaben erlassen bezüglich überwiesen haben, sollen die Bundesstaaten 
doch jetzt auf diesem Defizit sitzen bleiben. Das scheint mir, ich möchte fast 
sagen, nicht den Versprechungen zu entsprechen, die bei der Zollgesetzgebung 
und bei der Erhöhung der Verbrauchsabgaben seit 1879 unzweifelhaft ge- 
macht worden sind. Meine Herren, wir wollen durch das Finanzreform- 
gesetz auch nicht die clausula Franckenstein aufheben, sondern wir wollen 
nur den Ertrag der Einzelstaaten aus der clausula Franckenstein pauscha- 
lieren. Gegenüber diesem Pauschalierungsvorschlag ist nun so hingeworfen 
worden, als ob wir mit den Einzelstaaten eine Art societas leonina ein- 
gehen wollten, als ob wir die angeblich kolossal wachsenden Einnahmen 
aus Ueberweisungssteuern und Zöllen, die angeblich bis auf 89 Millionen 
in den nächsten 5 Jahren anwachsen sollen, den Einzelstaaten gegen ein 
Linsengericht abkaufen wollten. Meine Herren, ich glaube, die einzelstaat- 
lichen Herren Finanzminister haben sich die Frage auch sehr eingehend über- 
legt; aber sie stehen auf dem Standpunkt, daß ihnen hier der Sperling in 
der Hand lieber ist als die Taube auf dem Dache, daß sie lieber eine etwas 
geringere feste Ueberweisung bekommen wollen, als in dieser die Finanzen 
der Einzelstaaten zerrüttenden schwankenden Art und Weise einmal Flut 
und dann wieder Ebbe; und ich glaube, meine Herren, die einzelstaatlichen 
Finanzminister sind doch nicht so harmlos, um ein so ungünstiges Geschäft 
mit dem Reiche abzuschließen, wie Sie es darstellen. Ich glaube auch, der 
preußische Herr Finanzminister hat die Frage sehr genau kalkuliert und 
überlegt. Ueberdem, meine Herren, ist die Differenz zwischen dem, was
	        
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