Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 19./20.) 65
gramm. Aber die Engländer haben Gebiete besetzt, an die sich die Namen
unserer deutschen Forscher, Nachtigal, Barth, Flegel knüpfen, und man hat
im vorigen Jahre das deutsch-englische und jetzt leider auch ein französisches
Abkommen getroffen, welche unsere Entwickelung im Hinterlande hindern.
Durch das französische Abkommen wird der Zugang zum Tsad-See ver-
ändert und das Adamaua-Gebiet geht uns verloren. Wir erleben dort
ähnliche Zustände, wie in Sansibar, wo wir auch das Hauptgebiet, Sansibar
selbst, verloren haben und uns mit dem Festlande begnügen mußten. Hätte
der Reichskanzler Mittel für Expeditionen gefordert, so hätten wir sie für
mehrere Jahre noch bewilligt. Ich bin überzeugt, andere Generationen
werden es nicht verstehen, daß wir nicht thatkräftiger uns an der Auf-
schließung Afrikas beteiligt haben und uns nicht mehr bemüht haben, uns
auch eine Kolonialmacht zu schaffen, wie die Engländer und Franzosen.
Ich will nicht den Vorwurf auf mich laden, daß ich den Wert von Afrika
nicht erkannt hätte. Ich werde nach wie vor für die Kolonialpolitik wirken,
selbst auf die Gefahr hin, ein Kolonialschwärmer genannt zu werden. (Leb-
hafter Beifall rechts.)
Reichskanzler Graf v. Caprivi: Ich möchte mich zuerst mit
der letzten Kritik des Herrn Vorredners über die Verträge mit England
und mit Frankreich beschäftigen, weil diese Kritik vielleicht einen Maßstab
für seine Kritik überhaupt gibt. Der Herr Vorredner hat den Vertrag
mit Frankreich angegriffen, ohne seinen Wortlaut zu kennen; er hat Be-
hauptungen aufgestellt, die ich als unrichtig bezeichnen muß, ohne daß ich
auf die Sache näher eingehen könnte. Wir sind mit Frankreich materiell
handelseinig, formell nicht. In Bezug auf den Vertrag mit England habe
ich dem Herrn Vorredner zu bemerken, daß Yola nicht durch das, was man
jetzt den neuen Kurs nennt, abgegeben worden ist, sondern daß das früher
geschehen ist, und daß wir alle es bedauern, diese Stadt nicht bekommen zu
haben, daß wir aber nicht in der Lage sind, das zu ändern. Im übrigen
glaube ich, der Herr Vorredner wird sich in seiner ferneren Kritik dadurch
nicht irre machen lassen, er wird sich ja auch nicht überzeugen; ich beschränke
mich in Bezug auf den Vertrag mit England auf die Bemerkung, daß
England in den Gebieten, um die es sich hier handelt, an Kapital, an
Menschenkräften, an Expeditionen das Vielfache von dem eingesetzt hat,
was wir eingesetzt haben, daß uns dagegen Terrains zugesprochen worden
sind, in denen noch nie ein deutscher Fuß gewesen war. Ich bin der
Meinung, daß man mit einem solchen Vertrag ganz wohl zufrieden
sein kann.
Nun zu den übrigen Bemerkungen des Herrn Vorredners! Da muß
ich zunächst hervorheben: ich habe nicht gesagt, daß keine Abhilfe in
Kamerun geschaffen werden solle; im Gegenteil, ich bin bereit, die Abhilfe
zu schaffen, wenn sie nötig wird; ich habe nur gesagt, daß die Kritik, wie
sie hier ohne Kenntnis der Verhältnisse geübt worden ist, mir keine Mög-
lichkeit zur Abhilfe gibt, und auf diesem Standpunkt stehe ich auch noch.
Denn wie hinfällig die Behauptungen des Herrn Vorredners sind, das geht
unter anderem daraus hervor, daß er meint, wir müßten doch, da die
Peitsche schon hier an Ort und Stelle ist, auch Berichte haben. Nachdem
die Berichte über diesen, wie er es nennt, Mißerfolg in Kamerun uns zu-
gegangen sind, ist mit möglichster Beschleunigung von hier das geschehen,
was geschehen konnte. Es ist mit dem nächsten Dampfer ein hoher Be-
amter, der Regierungsrat Rose herausgeschickt worden, um an Ort und
Stelle Untersuchungen vorzunehmen. Nach dem Charakter dieser ganzen
Angelegenheit handelt es sich um etwas, was wir sonst Disziplinarunter-
suchung nennen würden. Da sind Zeugen zu vernehmen, Angeklagte zu
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