Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 27.) 83
wird. (Sehr richtig! links.) So lange es Kriege gibt, so lange es
Mißwachs u. s. w. gibt, so lange es die Faktoren gibt, die ihrer Natur
nach auf die Valuten eines Staates einwirken, so lange sind auch derartige
Schwankungen möglich, und es wäre ein eigentümlicher Zustand, wenn in
diesem Augenblick nun alle Verträge eines Staates außer Kraft treten sollten.
Die Sicherheit der Valuta ist stets eine relative, und man wird zugeben
müssen, daß unter den Staaten, die eine schwankende Valuta haben, Ruß-
land zweifellos derjenige ist, bei dem diese Sicherheit zur Zeit relativ die
größte ist. Rußland hat große Goldvorräte angesammelt; es hat durch
die Einstellung der freien Silberprägung, durch das Verbot der Einfuhr
fremder Silbermünzen seinen Rubelkurs vollkommen losgelöst vom Schicksal
des Silbers; es hat eine ganze Reihe von gesetzgeberischen und administra-
tiven Maßregeln ergriffen, um den Rubelkurs zu halten, und wir haben
gesehen: mit Erfolg, denn trotz der mannigfachen ökonomischen Krisen, die
Rußland namentlich in Folge der Mißernten in den letzten Jahren be-
standen hat, ist der Rubelkurs stabil gewesen und in neuerer Zeit sogar
erheblich gestiegen. Und dann noch Eines. Wenn man eine gleitende Skala-
einrichten will, dann muß man sich erinnern, daß, als wir den Fünfmark-
zoll im Jahre 1887 einführten, die russische Valuta auf 180 stand. Wenn
man also diese Skala hier durchführen will, so würde man bei einem Rubel-
kurs von 220 Mk. wahrscheinlich nicht sehr weit von einem Zoll von 3,50
Mark sein. Aber diese gleitende Skala hat in allen Ländern, in England,
in Frankreich Fiasko gemacht und sie ist aus Gründen, die ich heute nicht
näher darlegen will, auch praktisch undurchführbar. Damit, meine Herren,
bin ich mit meinen Erörterungen für heute zu Ende. Ich bin mir voll-
kommen bewußt, daß ich mit dem, was ich hier vertrete und was ich hier
sage, ankämpfe gegen eine sehr starke Strömung in weiten Kreisen unserer
landwirtschaftlichen Bevölkerung, und ich bin nicht geneigt, diese Strömung
leicht zu nehmen. Im Gegenteil: wenn eine so ruhige und im besten
Sinne konservative Bevölkerung, wie unsere landwirtschaftliche, sich zu einem
erheblichen Teil einer so hochgradigen Verstimmung hingibt, wie das heute
der Fall ist, so weist das auf eine wunde Stelle in unserem wirtschaftlichen
Körper hin, dessen Pflege und Heilung die Pflicht des Staates ist. (Sehr
richtig! rechts.) Meine Herren, ich finde in dieser agrarischen Bewegung,
so manches ich an derselben bedauere, den stärksten Antrieb, daß die Re-
gierungen und alle, die es mit dem Lande wohl meinen, nicht erlahmen
mögen in werkthätiger Fürsorge für die Landwirtschaft zu dem Ziele, dessen
Erreichung heute das wichtigste ist, nämlich die Erhaltung eines gesunden
und kaufkräftigen Bauernstandes und eines gesunden Mittelstandes.
27. Februar. (Reichstag.) Fortsetzung der Beratung über den
Russischen Handelsvertrag (Erste Lesung) in Verbindung mit dem An-
trage v. Kardorff (Rp.) betr. die Vorlegung eines Reichsgesetzes
wegen Erhebung von Zollzuschlägen für die Einfuhr von Roggen,
Weizen und Mehl bei bestehendem Disagio in fremden Staaten.
Nach einer Begründung durch den Antragsteller ergreift das Wort:
Reichskanzler Graf v. Caprivi: Ich habe nicht die Absicht, an den
Antrag des Herrn von Kardorff anzuknüpfen, sondern ich will zurückgehen
auf die gestrigen Verhandlungen und mich bezüglich einiger allgemeiner
Fragen zu dem Handelsvertrag äußern.
Der vorliegende Vertrag ist bestimmt, eine Brücke für den friedlichen
Verkehr zweier großer Nationen zu bilden. Er ist in dieser Beziehung ein
Werk von ungewöhnlicher Tragweite. (Sehr richtig! links.) Er ist ge-
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