Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Elfter Jahrgang. 1895. (36)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 17.) 109 
(Lebhafte Hoch und Heilrufe unterbrachen den Fürsten hier auf längere 
Zeit, der dann fort fuhr): und auf ihn und auf den deutschen Sinn, der 
sich in ihrer Begrüßung hier ausspricht, auf die Hoffnung, die ich daran 
knüpfe, daß das Band, welches zwischen dem deutschen Westreich und dem 
Oesterreich durch Sie gerade geknüpft wird, ein unzerreißbares sein wird, 
in diesem Sinne trinke ich auf das Wohl Sr. Majestät des Kaisers von 
Oesterreich und Königs von Ungarn! (Wiederum brach die Versamm- 
lung in jubelnde Hochrufe aus.) Der Fürst ergriff den Pokal mit den 
Worten: und in steirischem Wein, aber aus kriege ich ihn nicht. Nach 
einem kräftigen Zuge sagte der Fürst: Es thut mir leid, denn er 
ist gut. — Nach der Rückehr des Fürsten von seinem Rundgang 
auf den Balkon sprach er: Meine Herren, ich trinke Ihnen nochmals 
zu, vorhin auf Ihren Landesherrn, jetzt auf ihr Land, auf das grüne 
Steiermark und auf das Oesterreicher-Land überhaupt — beide leben hoch, 
och, hoch!“ 
17. April. (Friedrichsruh.) Fürst Bismarck empfängt 
eine Deputation der deutschen Innungen, der Stadt Darmstadt 
und der deutschen Künstlerschaft. 
In der Ansprache der Handwerker spricht er über die Zusammen- 
gehörigkeit der produktiven Stände, der Landwirtschaft und der Gewerbe, 
und fährt dann fort: 
Ich bin unserer Gewerbsgesetzgebung näher getreten mit Absichten, 
bei deren Verwirklichung ich ermüdet bin an dem Widerstande des Reichs- 
tages. (Sehr richtig!t) Es war, was wir da versuchten, stets ein Bild der 
Echternacher Prozession: zwei Schritte vorwärts, einen Schritt zurück. (Sehr 
richtig! Bravol) Ich bin ermüdet in dem parlamentarischen Sande, in 
den Bestrebungen, die ich hatte, auch selbst in der Richtung der Gesetz- 
gebung, die ich nur mit einem Worte, mit Klebegesetz bezeichnen will. 
(Heiterkeit.) — Sie wissen alle, welches Gebiet darunter verstanden ist. 
(Rufe: Ja !) Da sind meine ersten Bestrebungen abgelehnt worden; ich 
hatte nicht den Gedanken, daß der 17jährige Arbeiter bezahlen sollte, ein- 
zahlen sollte für Ergebnisse, die er mit 70 Jahren etwa erwarten konnte. 
(Bravo, sehr richtig!) Dieser psychologische Irrtum ist mir nicht passiert, 
sondern ich hatte das Bestreben, daß dem müden Arbeiter etwas Besseres 
und Sichereres als die Armenpflege, die lokale Armenpflege gewährt werden 
solle (Lebhaftes Bravo !), daß er wie jeder Soldat auch im Zivilleben seine 
sichere Staatspension haben sollte (Wiederholtes Bravo !), mäßig gering 
meinethalben, aber doch so, daß ihn die Schwiegermutter des Sohnes nicht 
aus dem Hause drängt (Heiterkeit), daß er seinen Zuschuß hat (sehr gut!). 
Dieses Bestreben wurde mir abgelehnt in der ersten Verhandlung des Reichs- 
tages über dieses Versorgungsgesetz, und ich muß sagen, baß ich damit 
eigentlich die Lust an der Sache verlor und ihr ferner getreten bin, denn 
ich glaubte nicht an die Möglichkeit, den 18jährigen Arbeiter zu überzeugen, 
daß er für sein 70. Jahr einzuzahlen nötig hätte, er wußte nicht, ob er 
so lange lebte und hat auch in seinem jugendlichen Alter eine bessere Ver- 
wendung für die Einzahlung. (Große Heiterkeit.) Ich halte es für eine 
ungeschickte Sache in der Ausführung, für die Ausführung bin ich aber 
nicht verantwortlich; ich habe die Anregung der Idee übernommen, aber es 
war für mich unmöglich, das in allen 25 deutschen Staaten in der Aus- 
führung zu überwachen, und da ist es denn schließlich doch den Tendenzen 
der Reichstagsmajorität anheimgefallen und geschehen, daß die Sache heut- 
zutage nicht so günstig und nützlich wirkt wie der alte Kaiser Wilhelm bei
	        
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