Pie Gesterreichisch-Angerisee Monerc#ie(Oktober 21.—29.) 229
denken". Unter Voraussetzung unbedingter Aufrechterhaltung dieses Prinzips
habe er und seine Kollegen die Mission übernommen. Die Regierung trage
die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Gesetze und der Ordnung,
deshalb habe sie das Recht und die Pflicht zu führen. Die Regierung
appelliere hauptsächlich an die Parteien, die auf ethischer Grundlage gebildet
ideale Ziele, wenn auch mit praktischer Unterlage, anzustreben befähigt seien.
Die Regierung sei sich der Pflicht bewußt, die Umwälzung oder Vernichtung
der Gesellschafts-Ordnung zu verhindern; sie werde die religiösen Gefühle
pflegen und eine sittlich-religiöse Erziehung der Jugend antreben. Auch
die wirtschaftliche Frage werde sie im Auge behalten, insbesondere die
schwächeren Länder berücksichtigen. Was das Arbeitsprogramm betreffe, so
sei eine Hauptaufgabe die Erneuerung des Ausgleiches mit Ungarn; ferner
werde ein Wahlreformentwurf vorgelegt werden, die Steuerreform solle fort-
gefhrt und die soziale Lage der unteren Volksschichten thunlichst ver-
essert werden.
Die Deutsch-Liberalen, Polen, der Hohenwartklub und die Klerikalen
find im allgemeinen von dem Programm befriedigt, die Antisemiten, Deutsch-
nationalen und Slovenen nehmen eine abwartende Haltung ein, die Jung-
tschechen find unzufrieden wegen der dem Deutschtum gezollten Anerkennung.
Oktober. Konflikt mit der Kurie.
Durch die Zeitungen geht die Behauptung, Oesterreich habe die Ab-
berufung Agliardis (vgl. S. 214) verlangt, was abgelehnt worden sei. In-
folge dessen habe der österreichische Botschafter Graf Revertera den Vatikan
verlassen.
21. Oktober. (Böhmen.) Eine Versammlung deutsch- nationaler
Vertrauensmänner in Prag beschließt die Bildung einer deutschen
Volkspartei für Böhmen.
21. Oktober. (Pest.) Magnatenhaus. Schluß der Beratung
über die Kirchengesetze.
Das Magnatenhaus verhandelt zum vierten Mal über die Ge-
setzesvorlage für die freie Religionsübung und nimmt mit 118 gegen
112 Stimmen den freien Ein= und Austritt an, wonach die Konfesstonng:
lofigkeit gestattet ist. Im weitern Verlauf nimmt das Haus die Bestim-
mungen der Vorlage, die den Uebertritt zum Judentum gestatten, mit 121
gegen 113 Stimmen an, womit die liberale kirchenpolitische Gesetzgebung
das letzte Hindernis überwunden hat.
Oktober. Der Papst und die österreichischen Bischöfe über
den 20. September. S. Römische Kurie.
24. Oktober. (Wien.) Das dem Abgeordnetenhause vorge-
legte Budget für 1896 weist ein Gesamterfordernis von 662691582
Gulden und eine Gesamtbedeckung von 662902 808 Gulden auf;
es verbleibt daher ein Überschuß von 211 226 Gulden.
29. Oktober. (Wien.) Bürgermeisterkrifis (uvgl. S. 227).
Der Gemeinderat wählt Dr. Lueger zum Bürgermeister mit 93 Stim-
men. Es werden 44 leere Stimmzettel abgegeben. Der Kaiser verweigert
die Bestätigung Luegers (6. Nov.).